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Francesca Ferrari: In der "Deutschen Eiche" isst man griechisch

Alexios Dimitpopoulos, kurz Alex genannt, 51 Jahre, und seine Schwester Kalliopi, 47 Jahre, kurz Poppi genannt, leben bereits seit 25 Jahren in Deutschland. Seit über 20 Jahren wohnen sie im 7200 Einwohner großen Ort Vöhrum, gelegen im Landkreis Peine zwischen der Landeshauptstadt Hannover und dem Zentrum Braunschweigs. Alex und Poppi sind die einzigen Ausländer im Ort, – und ihnen gehört gleichzeitig die Dorfkneipe, die "Deutsche Eiche".

Mein Bruder Panajotis hat es vorgemacht: Er verließ vor ungefähr 30 Jahren unser 200-Seelen-Dorf Priolitos Kalayritl in den Bergen der Peloponnes und ging mit 18 Jahren allein nach Deutschland ... ich weiß noch, wie er gesagt hat, in der Fremde habe er mehr Zukunft als hier. Und eine bessere Arbeit als bei uns in der Gegend, wo die meisten unter Tage arbeiten, finde er auch. Meine Eltern waren einfache Bauern. Es war ihnen klar, dass die Landwirtschaft für sie und ihre sechs Kinder zu wenig einbrachte. Sie wollten das Beste für Panajotis, ihren ältesten Sohn, und ließen ihn gehen.

Nachdem er einige Jahre in Deutschland war, eröffnete er in Sehnde bei Hannover seine erste Gaststätte. Der Anfang war für ihn wohl sehr schwer. Ich weiß es nicht, er hat nie darüber gesprochen.

1965 bin ich mit meiner Schwester nachgekommen, denn die Zukunftsaussichten in unserem kleinen Bergdorf waren nicht besonders gut. Ich ging nicht nach Deutschland, um Millionär zu werden, sondern um meinem Bruder zu helfen. Also machte ich mich gemeinsam mit meiner damals 25 Jahre alten Schwester auf den Weg. Meine anderen drei Schwestern und mein zweitältester Bruder sind in Griechenland geblieben. Sie wollten nicht in ein anderes Land gehen, sondern zogen es vor, in griechischen Großstädten, wie Athen und Calamada zu arbeiten.

In Deutschland ist uns sofort das schlechte Wetter aufgefallen, der ständige Regen, die Kälte. Merkwürdig fanden wir auch, dass die Fußgänger in den Städten auch nachts in leeren Straßen an den Ampeln auf Grün warteten.

Meine Schwester Poppi und ich begannen zunächst in der Gaststätte meines Bruders in Sehnde zu arbeiten. Hier lernte ich meine spätere Freundin Renate kennen. Ich mochte gleich ihre fröhliche Art. Sie kellnerte in dem Lokal. Geheiratet haben wir nie, aber wir leben nun schon fast über 20 Jahre zusammen. Deutsch habe ich durch die Gespräche mit ihr gelernt und durch die Arbeit im Lokal, durch Gespräche mit den Gästen. Zu einer Sprachschule bin ich nie gegangen, dafür hatte ich überhaupt keine Zeit.

Nach ein paar Jahren hatte ich das Gefühl, genug gelernt zu haben. Ich wollte mich gemeinsam mit meiner Schwester und Renate selbständig machen. Einen bestimmten Grund, weshalb wir uns für den Ort Vöhrum entschieden haben, gab es nicht. Dort war gerade etwas Passendes frei geworden und der Vorbesitzer war bereit, die Gaststätte und die dazugehörende Kegelbahn an Ausländer zu vermieten. Eine der Übernahmebedingungen war allerdings, dass der Name der Gaststätte "Deutsche Eiche" erhalten bleibt. Ich hatte kein Problem damit. Im März 1981 zogen wir drei dann hierher nach Vöhrum.

Seitdem wohnen wir gemeinsam über dem Lokal in einer Wohnung. Mein älterer Bruder half uns in der Anfangsphase. Er wusste, wen man ansprechen musste und wie die Formalitäten erledigt werden. Heute erledigen wir die meisten Schriftarbeiten zusammen oder holen uns professionelle Hilfe, zum Beispiel durch einen Steuerberater.

Am Anfang waren die Leute in Vöhrum ziemlich misstrauisch. Wir hatten Schwierigkeiten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich hatte das Gefühl, sie würden uns ablehnen und wollten uns nicht in ihrem Ort haben. Aber meine Schwester Poppi, Renate und ich haben darum gekämpft, akzeptiert und integriert zu werden. Und ich denke heute, wir haben es geschafft.

Wir haben eigentlich nur deutsche Gäste. Zu unseren Stammkunden gehört beispielsweise der Kegelclub "Fuhsetal, Peine Vöhrum", der sich hier einmal im Monat trifft, der Fußball- und der Volleyballverein des Dorfes, der Taubenzüchterverein, der Männergesangsverein von 1888 Vöhrum e.V. und der Spielmannszug Vöhrum. Seit drei Jahren richten wir für 400 bis 500 Leute das Königsfrühstück beim Schützenfest aus. Mit dem Essen haben wir uns auf unsere Gäste eingestellt: Renate kocht typisch deutsch, Spargel oder Sauerkraut. Poppi macht griechische Gerichte wie Gyros oder Souvlaki. Die Gäste mögen beides sehr gern.

Mit den Gästen haben wir ein sehr gutes Verhältnis: Wir bekommen regelmäßig Einladungen zum Kaffeetrinken, zum Abendessen oder zu Familienfeiern, leider haben wir nicht immer Zeit dafür. Ja, ich bekomme sogar jedes Jahr von den Stammkunden zu meinem Geburtstag Geschenke.

1984 starb mein Bruder in Deutschland. Er wurde in Griechenland, in unserem Dorf, begraben. Natürlich haben wir ihn damals begleitet. Seine Frau und die Kinder sind zurück nach Griechenland gegangen. Mein Glauben ist griechisch-orthodox, aber da es in Vöhrum so eine Kirche nicht gibt, gehen wir auch mal zum Gottesdienst in St Joseph, der katholischen Kirche des Ortes.

In Deutschland vermisse ich am meisten den kräftigen Eigengeschmack des Essens: Frische Früchte wie Wassermelonen, Pfirsiche oder Tomaten schmecken hier wässerig. Und das Wetter ist nicht so gut. In die Heimat, nach Griechenland, fliegen wir jedes Jahr für mindestens drei Wochen, immer zwischen August bis Mitte September, das hängt vom Geschäft ab. Dort besuchen wir zunächst unsere Geschwister und alle anderen Verwandten. Meine Schwester fährt dann mit uns ans Meer oder in die Berge. Natürlich besuchen wir in der Zeit auch unser Dorf, wir haben dort ja noch einige Bekannte, wenn auch nicht mehr so viele. Unsere Eltern sind schon vor vielen Jahren gestorben. Beide waren aber auch schon mal in Deutschland, um uns zu besuchen.

Ich bin jetzt ungefähr seit 20 Jahren hier in Vöhrum. Ich kann sagen, es ist inzwischen zu meiner zweiten Heimat geworden. Die politische Diskussion um die Einwanderung bekomme ich gar nicht so mit. Einerseits habe ich wenig Kontakt zu anderen Ausländern, weil ich so viel arbeite. Auch andere griechische Familien sehe ich kaum. Andererseits gibt es in Vöhrum auch keinen Anlass, sich über Fremdenfeindlichkeit Sorgen zu machen. Hier ist noch nie etwas passiert. Aber natürlich finde ich es beängstigend, wenn in anderen Teilen Deutschlands Übergriffe auf Ausländer stattfinden. Für mich gehört es zur Verantwortung der Politiker, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert. Insgesamt erwarte ich von den Politikern, unabhängig ob sie in Deutschland oder in Griechenland im Staatsapparat sitzen, nicht viel. Deshalb wähle ich weder hier auf kommunaler Ebene noch in Griechenland per Briefwahl. Jeder ist doch irgendwo selbst für sich verantwortlich. Für mich stand nie zur Debatte, ob ich die deutsche Staatsangehörigkeit annehme, denn es würde an meinem Leben ja nichts ändern.

Ob noch weitere Ausländer ins Land kommen sollten, kann ich nicht sagen. Das muss die deutsche Wirtschaft und Politik selbst beurteilen und regeln. Für mich macht es keinen Unterschied, woher meine Gäste kommen.

Mit meinem jetzigen Leben, der Arbeit in der Gaststätte "Deutsche Eiche" und meinen Bekannten hier in Vöhrum bin ich insgesamt ganz zufrieden. Ich weiß nicht, ob ich später wieder nach Griechenland zurückkehren werde. Und dann ist da ja auch noch Renate.

Das Gespräch führte Francesca Ferrari, freie Journalistin, Hannover

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