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Fred Anders "Die Sache kann sich auch anders entwickeln"

José Sanchez stammt aus Spanien und arbeitet als Schlachter in einem privaten Zerleger-Betrieb in Osnabrück

Aufgewachsen bin ich in Galizien, eine kleine Ecke in Nordspanien an der Grenze zu Portugal. Es ist ganz schön dort, nicht so viele Touristen wie im Süden. Im September 1970, vierzehn Tage nach meinem 19. Geburtstag, bin ich nach Deutschland gekommen. In Spanien gab es damals wenig Arbeit. Meine zwei älteren Schwestern waren bereits hier. Die habe-n mir Arbeit gesucht. Früher wurden Afrikaner als Sklaven verkauft. Uns hat Franco zwar nicht direkt verkauft, alles war freiwillig. Aber Geld hat er für uns auch gekriegt. Devisen. Was haben wir früher alles nach Spanien geschickt. Und dadurch sind auch Arbeitsplätze entstanden.

Ich wurde in Spanien vom Arzt untersucht, von den Augen zu den Füßen. Wenn du krank warst, auch nur Kleinigkeiten, hattest du keine Chance. Angefangen bin ich hier in Osnabrück in der Holzindustrie. Das war schwer für mich, besonders wegen der Sprache. Ich war der einzige Ausländer, sonst waren alle deutsch. Insgesamt ist das bei mir aber relativ schnell gut gegangen. Drei Jahre später habe ich im städtischen Schlachthof als Schlachter angefangen. Damals konnte man da gutes Geld verdienen, tausend Mark mehr im Monat. Seitdem hatte ich nur noch mit Fleisch zu tun. Nach zwanzig Jahren hat der Schlachthof 1994 zugemacht, weil kein Geld für Modernisierungen da war. Wir haben unsere Abfindung gekriegt und ich bin bei einem privaten Betrieb als Zerleger angefangen. Zerleger müssen die Knochen auslösen. Ich meine: als Zerleger ist es leichter, die Arbeit als Schlachter ist härter. Aber vor drei Monaten mussten wir wechseln. Jetzt haben sie Leute aus Ungarn genommen. Die sind billiger, deswegen mussten wir raus. Jetzt arbeite ich in der gleichen Firma wieder als Schlachter. Damit muss man leben, Geld muss man ja verdienen. Nur schlachten und aufladen, Rinder, Bullen. Harte Arbeit ist das. Bei uns arbeiten fast nur Deutsche. Außer mir noch ein Afrikaner und zwei islamische Leute. Insgesamt sind wir um die 40 Leute. Wir fangen um 5 Uhr an, kurz vor vier losfahren. Zuerst wird ein paar Stunden verladen, dann beginnt das Schlachten. 200, 250 oder 300 Tiere. Sie werden im Gang getötet. Wenn sie aufgehängt sind, fängst du an, die Felle abzuziehen. Da geht vieles maschinell, die Tierkörper laufen immer im Kreis. 60 Stück pro Stunde. Heute ist in Deutschland ja alles Akkord. Wenn du ein paar Prozente Lohnerhöhung kriegst, muss du sofort ein bisschen mehr machen. Dann bleibt alles beim Alten, du musst nur mehr malochen. Probleme mit unseren Vorarbeitern gibt es eigentlich nicht. Jeder steht an seinem Platz, weiß was er tun muss. Sicher, wenn man vielleicht was falsch macht, gibt es vielleicht was. Aber normal, nein.

Aber Ausländer bist du trotzdem. Wenn du das ganze Jahr zusammen arbeitest mit Leuten: einmal sind sie gut zufrieden, einmal schlecht zufrieden. Und da gibt es je nach Laune immer verschiedene Worte. Da kommt dann schon mal so was bei einer passenden Gelegenheit. Ist ja nicht so schlimm. Aber ich bin beliebt. Egal wo ich hinkam, habe ich nie große Probleme gehabt.

Das einzige, was ich hier in Deutschland nicht gut finde: Die Leute arbeiten zuviel, denken nur an Arbeit. Bei uns ist das anders, viel ruhiger. In der Woche sieht man hier abends kaum jemanden auf der Straße. Bei uns in Spanien sind abends immer Leute unterwegs. Die müssen zwar auch am nächsten Morgen arbeiten, aber nicht so früh. Hier in Deutschland lebt man für die Arbeit, und in Spanien arbeitet man, um zu leben. Das ist der Unterschied.

Und jetzt sind wir hier. Damals sind wir gekommen, um Geld zu verdienen, sparen und später wieder nach Spanien zurück. Dann sollte ich zum Militär. Die nächsten paar Jahre hätte ich kein Geld gehabt, das wollte ich nicht. Es gab aber eine Regelung. Wenn man zehn Jahre zum Arbeiten in Deutschland bleibt, durfte man auch einmal im Jahr zu Besuch nach Spanien fahren. Dann habe ich mich so entschieden. Nachher habe ich geheiratet, eine spanische Frau. Das Kind kam kurz danach. Und dann denkst du so: Nächstes Jahr zurück oder übernächstes. Aber die Sache kann sich auch anders entwickeln. Vielleicht hast du kein Geld, hast nicht genug gespart. Oder du sagst: Hier in Deutschland ist es auch nicht schlecht. Und die Kinder: Unseren ersten Sohn haben wir nach Spanien geschickt zur Schule. Er hat dort den Hauptschulabschluss gemacht und hatte dann aber keine Lust mehr, dort zu sein. Er hat hier dann die Realschule geschafft und eine Ausbildung gemacht. Wenn er dort geblieben wäre, wären wir schon eher weggegangen. Unsere Tochter ist 14 Jahre alt. Bis zur 5. Klasse kannst du noch nach Spanien hinziehen. Danach ist es für die Kinder zu schwer. Sie ist jetzt in der 8. Klasse, später macht sie eine Ausbildung. Die kann man auch besser in Deutschland machen, weil das Ausbildungssystem in Spanien nicht so gut ist.

So wirst du immer älter. Ich werde dieses Jahr 50. Und dann denkst du, was machst du jetzt? Gehst du nach Spanien oder gehst du noch nicht? Wenn alles gut geht, können wir vielleicht in vier oder fünf Jahren nach Spanien gehen, wenn meine Tochter mit der Ausbildung fertig ist. Egal, ob die Kinder dann mitkommen oder nicht. Ich bin damals hier ja auch alleine zurechtgekommen. Und die kennen die Sprache hier. Doch ich denke schon daran, einmal wieder zurück zu gehen – wenn ich es schaffe. Wir sind jedes Jahr einige Wochen in Spanien. Wir haben eine Wohnung da. Und die steht leer. Das war ein Fehler von uns, wir hätten besser hier eine gekauft. Wenn man dann nach Spanien geht, wird man sie immer wieder los. Oder du gibst den Kindern die Wohnung. Aber so bezahlen wir schon dreißig Jahre Miete hier. Weil du immer denkst, du gehst irgendwann zurück. Heute habe ich nicht Heimweh so wie früher. Du freust dich schon vorher, wenn du in Urlaub fährst. Aber wenn du wiederkommst und hier bist, freust du dich auch. Wenn du nach Spanien gehst, sagst du: Ich bin jetzt für ein paar Wochen zuhause. Aber nachher irgendwann, denkst du: Ich bin hier in Osnabrück zuhause. Klar. Urlaub ist immer gut. Aber Urlaub und Alltag kann man auch nicht vergleichen.

Eigentlich vermisse ich Spanien nicht so sehr. Weil ich Spanien gar nicht kenne, wenn man das so sieht. Wenn du vor langer Zeit gegangen bist, hast du vieles vergessen. Sicher, manches vermisst man. Meine Mutter lebt da noch. Ich habe Geschwister dort. Aber so direkt? Ich bin ganz zufrieden in Deutschland. Nur das Wetter ist hier schlimm. Ich habe die Sprache gut gelernt, weil ich hier immer viel Kontakt hatte. Obwohl, natürlich wäre es leichter gewesen, wenn einer gesagt hätte, du kannst in deiner freien Zeit einen Sprachkurs besuchen. Oder wenn einer gesagt hätte: Du musst. Aussiedler aus Russland kriegen einen Sprachkurs und Geld, wenn sie kommen. Von uns hat keiner etwas bekommen, keiner hat damals an uns gedacht. Außer, kannst arbeiten, fertig. Wir waren für die Deutschen nur Ausländer. Wenn dann die deutschen Russen kommen, sind das Deutsche. Das ist anders. Und damals: Die schlimmste Arbeit haben die Ausländer gemacht. Egal, ob das Spanier waren, Portugiesen, Türken oder Italiener. Wir haben die ganze Dreckarbeit gemacht. Vielleicht musste man aber auch mit der Arbeit zufrieden sein, die da war. Sagen wir mal so, Deutschland hat uns auch das Brot gegeben. Ich habe in Spanien nicht schlecht gelebt. Aber es gibt ja auch viele, die schlecht gelebt haben. Man muss das von beiden Seiten her sehen. Wichtig wäre es aber, allen Menschen, die nach Deutschland kommen, den Neubeginn in einem fremden Land zu erleichtern.

Außerdem: Was nutzt es mir, wenn ich einen deutschen Pass habe? Ich bleibe trotzdem Ausländer. Man sieht ja die Russen. Das sind Deutsche, aber jeder sagt, das sind Russen. Ich hatte einmal ein schlechtes Erlebnis bei der Ausländerbehörde. Da hat mich ein junger Mann bedient. Ich war alleine. Der hat ein paar Worte gesagt, das war nicht normal. Wenn ich einen Zeugen gehabt hätte, wäre ich sofort zu einem Anwalt gegangen. Sonst habe ich nie Probleme gehabt mit Deutschen. Wir haben auch unter den Deutschen gute Freunde. Es kommt auch schon vor, dass ich in beiden Sprachen träume. Aber wenn ich träume, dann meist von hier, nicht von Spanien. Ich glaube einfach, dass Deutsche und Spanier viel gemeinsam haben.

In meiner Freizeit arbeite ich für den spanischen Elternverein, ich bin dort Präsident. Der Verein sorgt dafür, dass spanische Familien in Osnabrück den Kontakt zu ihrer Heimat nicht verlieren. Wir haben hier einen kleinen Laden mit spanischen Artikeln. Wein, Käse, Wurst, luftgetrockneten Schinken, Fisch, Scampis, Oliven – schmeckt alles hundertprozentig. Wir feiern hier auch unsere Feste und treffen uns zum Karten spielen oder um ein bisschen zu quatschen. Insgesamt haben wir 165 Mitglieder, davon 40 Deutsche. Die mögen unsere Küche. Und es ist natürlich billig bei uns. Außerdem können bei uns die Kinder rumlaufen bis elf Uhr, da sagt keiner was. In normalen Restaurants kann man Kinder ja gar nicht mitnehmen. Wenn gefeiert wird, sind hier schon Kinder auf dem Billardtisch eingeschlafen. Ich bin von Mittwoch bis Sonntag hier, alles ehrenamtlich. Das ist immer eine sehr anstrengende Woche.

Das Gespräch führte Fred Anders, freier Journalist in Osnabrück

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