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Adriane Borger: Zuwanderung: Was denken die Leute?

Lange Zeit waren sich die großen Parteien einig: Deutschland könne kein Einwanderungsland sein, weitere Zuwanderung sei nicht erwünscht. Jetzt hat sich der Wind gedreht. Wir brauchen Zuwanderung, so die neue Botschaft, aber gesteuert muss sie sein und mit Auflagen verbunden. Erst seit etwa zwei Jahren ist die Bevölkerung mit dieser neuen Sichtweise konfrontiert. Was denken die Leute über Zuwanderung? Welche Erfahrungen haben sie in diesem Zusammenhang?

Die folgenden Stimmen gehören zufällig ausgewählten HannoveranerInnen – eine ganz und gar nicht repräsentative Umfrage. Die Gespräche wurden zumeist spontan geführt und dauerten selten länger als 10 Minuten. Wiedergegeben werden hier nur einzelne Aussagen, dadurch gehen viele Differenzierungen verloren. Deshalb wurden die Namen der Befragten geändert.

Pierre B., 35, Franzose, seit 8 Jahren in Deutschland:

Theoretisch ist Europa offen, aber in der Praxis nicht. Es gibt hier in Deutschland keine Integrationspolitik. Meine Kinder wachsen zweisprachig auf, aber das ist hier nicht normal. Ich musste selbst mit anderen Eltern zusammen einen deutsch-französischen Kindergarten gründen. Die Green Card soll für fünf Jahre ausgegeben werden. Da machen sie den gleichen Fehler wieder wie damals mit den Gastarbeitern: nach fünf Jahren sollen die Leute zurück. Ich habe in fünf Jahren hier zwei Kinder bekommen!

Carla L., 46, Italienerin, seit 20 Jahren in Deutschland:

Seit ich hier her gekommen bin, hat sich viel verändert. Die Leute waren damals sehr intolerant. Inzwischen hat es diese ganze Debatte gegeben über Multikulturalität und so weiter. Wenigstens diskutiert man jetzt darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Es gibt den Grundsatz, dass man nur eine Staatsangehörigkeit haben darf. Ich hätte gerne die deutsche Staatsangehörigkeit, aber ich will doch die italienische nicht aufgeben! Das geht vielen so. Es gibt aber auch viele Ausnahmen von diesem Grundsatz. Ein Grundsatz mit so vielen Ausnahmen ist kein Grundsatz! Ich bin mit einem Deutschen verheiratet. Formal macht das keinen Unterschied, aber unterschwellig spüre ich einen, wenn die Leute zu mir sagen: "Ach, Sie sind hier verheiratet!" Und es gibt auch eine Hierarchie unter den Ausländern, welche gern gesehen sind und welche nicht so. Eine französische Freundin von mir betont sogar ihren Akzent, wenn sie unter Deutschen ist, weil das so gut ankommt!

Michael B., 43, Deutscher:

Ich halte nichts davon, Leute hierher zu holen. Wir haben doch selber genug ausgebildete Leute, die müssen nur qualifiziert werden. Das führt doch zum Lohndumping: Die Inder kommen dann für zwei oder drei Jahre hier her und geben sich auch mit niedrigeren Löhnen zufrieden, als sie hier verlangt werden. Nach zwei Jahren kommt dann der nächste, und so weiter. Und die sogenannten Spätaussiedler aus Russland, die sollen auch bleiben, wo sie sind. Man sollte sie dort unterstützen, wo sie leben, in ihrem Heimatland. Für Asylbewerber sollte man die Grenzen aufmachen. Das Asylrecht müsste erweitert werden. Alle, die aus eigenem Antrieb kommen, sollen hier bleiben und arbeiten dürfen. Besondere Integrationsmaßnahmen braucht es nicht. Wir müssen nur friedlich zusammenleben und uns gegenseitig respektieren. Wer aus freien Stücken hier her kommt, lernt auch von selbst Deutsch und integriert sich hier. Ich kenne aber auch eine Frau aus Kuba, die lebt schon seit Jahren hier und kann kaum Deutsch – solche Leute müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie abgelehnt werden. Sprachkurse sollten auf jeden Fall angeboten werden, für wenig Geld, damit sich das auch jeder leisten kann. Aber das muss auf freiwilliger Basis stattfinden, es ist Quatsch, die Leute zu zwingen!

Alessandra B., 32, Italienerin, arbeitet vorübergehend in Deutschland:

Mit der Zuwanderung will man eine Basis schaffen für die Wirtschaft, aber es gibt ganz viele Hindernisse. Ich arbeite in einem freien Beruf und nach drei Monaten Aufenthalt muss ich mein Einkommen hier in Deutschland versteuern. Den italienischen Behörden ist das aber egal, unter Umständen muss ich dort noch mal Steuern bezahlen. Ich bin mit den deutschen Steuergesetzen nicht vertraut und gerade als Selbständige ist es sehr schwierig, sich damit zurechtzufinden. Für mich ist das ein Zeichen, dass Zuwanderung im Sinne von Integration nicht gewünscht ist.

Frau am Bahnhof, Wartehalle auf Gleis 3/4, Deutsche, ca. 65 Jahre alt:

Wir haben doch genug Arbeitslose hier! Die meisten Ausländer hier leben doch von Sozialhilfe, die kommen doch fast alle nur aus wirtschaftlichen Gründen hier her. Wenn es wirklich Flüchtlinge sind, dann ist das was anderes. Zuwanderung in beschränktem Maße ist in Ordnung. Klar, wenn die Leute zwanzig, dreißig Jahre hier leben, dann sollen sie auch eingebürgert werden. Man kann ja nicht mehr auf die Straße gehen, man wird vom Bürgersteig geschubst von den Ausländern, den Russlanddeutschen, wie die sich nennen, oder auch von Türken. Die sind rücksichtslos, die fügen sich nicht ein. Aber das muss man doch erwarten können! Natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Für die Integration wird genug getan, es gibt doch Sprachkurse und alles, aber viele wollen das ja gar nicht. Meinen Namen will ich nicht sagen. Ich bin nicht aus Hannover.

Christina V., 51, Griechin, seit 30 Jahren in Deutschland:

Die Debatte in Deutschland über Zuwanderung hat sich sehr geändert, aber das ist doch in allen europäischen Ländern so. In Griechenland sehe ich das auch, da sind in den letzten Jahren so viele Ausländer gekommen. Fremdenfeindlichkeit gibt es überall. Auch in Griechenland finden viele Leute das nicht gut, wenn so viele Fremde kommen. Ich selbst habe nie Probleme gehabt, Gott sei dank. Ich habe aber auch nie jemandem Probleme gemacht. So muss man das ja auch mal sehen. Wenn hier junge Ausländer frech sind, müssen sie sich nicht wundern. Wenn man hier lebt, muss man sich anpassen. Man kann nicht weiter so leben wie in der Heimat. Verpflichtende Sprachkurse finde ich gut. Für uns gab es das damals nicht, leider. Wenn man hier lebt, muss man Deutsch sprechen und schreiben können.

Marco H., 25, Deutscher:

Viele von denen haben meiner Meinung nach das Recht, hier herzukommen. Zum Beispiel die Spätaussiedler aus Russland oder politisch verfolgte Menschen.

Na ja, es gibt 50 Millionen Flüchtlinge auf der Welt, die können wir natürlich nicht alle aufnehmen. Also - es braucht schon Regelungen für die Zuwanderung. Aber so, wie es im Moment geregelt ist, finde ich es nicht gut. Ich möchte persönlich nicht in der Situation sein, jemand in ein Bürgerkriegs- oder Folterland zurückzuschicken, das für "clean" erklärt worden ist, bloß weil es in der NATO ist oder so. Man sollte sich orientieren einerseits am Leid der Menschen, der Flüchtlinge, andererseits an dem berechtigten Interesse, qualifizierte Leute für den Arbeitsmarkt hier zu gewinnen. Wenn Leute 20 Jahre hier leben und kein Deutsch sprechen, das finde ich nicht gut. Ich halte aber nichts von Zwängen, von Punktesystemen oder so was. Wenn ich mir die Bayern anhöre, die können doch auch kein Deutsch!

Hassan C., 49, Türke, seit 1974 in Deutschland:

Auf der ganzen Welt gibt es heute keinen Stacheldraht mehr. Alle sollten hingehen können, wo sie wollen – Hauptsache, im Kopf ist man frei! Die deutsche Politik gegenüber Ausländern ist schlechter geworden, finde ich. Ich habe in der Zeitung gelesen: Alle müssen Deutsch sprechen, sonst können sie nicht hier bleiben. Das ist ganz schlecht! Sprachkurse sind gut. Wer hier her kommt, muss auch Deutsch lesen und schreiben lernen. Aber solche wie ich, die das nicht schaffen ... es darf kein Zwang sein! Nur freiwillig, Freiheit ist wichtig!

Astrid R., 32, Deutsche:

Zuwanderung – das ist ein sehr schwieriges Thema!! Ich bin dafür. Es ist ja sowieso alles viel offener geworden und viel normaler, dass man in ein anderes Land geht. Eine Freundin von mir ist in die Schweiz ausgewandert, eine andere nach Ibiza. Die mussten da sehr viel vorweisen, damit sie dort bleiben konnten, aber hier in Deutschland, wenn man sagt, die Leute sollen das und das können oder mitbringen, dann heißt es schnell, die alten Nazis wieder! Also, Zuwanderung gerne, aber geregelt und an Bedingungen geknüpft. Ein Punktesystem für die Einbürgerung fände ich gut. Viele Ausländer hier sind doch integriert. Wir gehen zum Beispiel oft hier in die Markthalle, und dann stehen wir da an einem spanischen Stand und hören um uns herum nur Spanisch oder andere Sprachen. Ich finde das belebend. Aber manchmal ist das auch sehr schwierig. Ich habe das erlebt bei einem Kurs bei dem Bildungsträger, wo ich arbeite. Da waren türkische Mädchen unter den Teilnehmern, die haben erzählt, dass sie hier in Deutschland weniger dürfen als zu Hause in der Türkei.

Mariam K., 41, Iranerin, seit 3 Jahren in Deutschland:

Ich war im Iran ein paar Jahre im Gefängnis. Als ich geflohen bin, kam ich zuerst nach Bolivien, dort war ich ein halbes Jahr. Ich konnte dort aber nicht bleiben und da bin ich nach Deutschland gekommen, weil das die einzige Möglichkeit war. Ich wollte nicht nach Deutschland. Ich hatte Angst vor den Deutschen, ich dachte, das sind alles Faschisten, wie in meinem Land seit der Revolution.

Gleich als ich herkam, musste ich einen sechsmonatigen Sprachkurs machen. Ich habe mit meinem Sohn bei meiner Kusine gewohnt, ich hatte keine Wohnung, keine Arbeit, kannte mich überhaupt nicht aus. Ich habe gesagt: Ich kann jetzt keinen Sprachkurs machen, ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren! Aber ich musste. Es ist sehr schwer, hier Fuß zu fassen. In Bolivien konnte ich jeden auf der Straße ansprechen und alle haben mir geholfen und mit mir gesprochen. In Deutschland hat jeder seine Grenze – du bist dort, ich bin hier. Jetzt nach drei Jahren habe ich das Gefühl, dass ich ein bisschen meine Kraft wiederfinde. Seit ich in Deutschland bin, bin ich sehr schwach. Ich muss das akzeptieren, ich bin eben zur Zeit so. Ich selbst habe nie Rassismus erlebt, aber ich weiß es von anderen. Ich glaube, dass Deutschland fremdenfeindlicher ist als andere Länder. Die Sprache ist der Schlüssel zur Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, dass es für die Ausländer, die hier her kommen, Dolmetscher gäbe, die sie zu den Ämtern begleiten. Alle diese Ämter, wo man hin muss, Arbeitsamt, Ordnungsamt, Familienhilfe – beim ersten Mal kann ich ja eine Freundin fragen, aber was mache ich beim zweiten und dritten Mal?

Adriane Borger, freie Journalistin, Hannover

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