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Rudolf Leiprecht: "Was soll ich in Dortmund?"

Rassistische Sprache als eine Form rassistischer Gewalt ist durchaus ein Alltagsphänomen. Nicht immer entspringt sie einer rassistischen Grundhaltung, sondern kommt unbeabsichtigt daher.

Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel: Die verblüffte Rückfrage des Jugendlichen im hier abgebildeten Cartoon ist überaus treffend für die Situation vieler Jugendlicher, deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind. Sie verweist auf ein selbstverständliches Erleben des "Hierseins", das von dem "Mann mit Hund" allerdings nicht anerkannt wird. Seine Aussage können wir als eine Form der rassistischen Ausgrenzung interpretieren. Denn der "Mann mit Hund" hat wohl nicht an eine andere deutsche Stadt gedacht, sondern an ein fernes anderes Land. Die Gestalt der Sprechblase deutet an, dass er seine Aussage aggressiv und laut vorträgt – und sie enthält in Form und Inhalt eine durchaus gewalttätige Note. Der Jugendliche reagiert recht schlagfertig und nimmt dem Angriff mit seiner Frage geschickt den Wind aus den Segeln. Vielleicht hatte er sich diese Antwort für solche Situationen schon zurecht gelegt. Jedenfalls erscheint er keineswegs hilflos, sondern sicher und selbstbewusst.

Man kann sich aber gut vorstellen, dass das, was hinter der Aufforderung vom "Mann mit Hund" steckt, den Jugendlichen auch verletzen könnte und für ihn eine Gewalterfahrung ist. Dies um so mehr, wenn sie mit einiger Macht vorgetragen wird, Umstehende möglicherweise eine ähnliche Auffassung signalisieren, die Nicht-Anerkennung des selbstverständlichen "Hierseins" überhaupt eine breitere Resonanz in der Gesellschaft findet, sich im Alltag des Jugendlichen wiederholt und womöglich durch gesetzliche Regelungen oder institutionelle Verhältnisse unterstützt wird.

Ein einfacher Zusammenhang?

Durch ausgrenzende Formulierungen, beleidigende Äußerungen, klare Feindbilder, aufhetzende Worte, einseitige Schuldzuweisungen und allgemeine Negativzuschreibungen werden mit Hilfe von Rede und Text Menschen verletzt, gedemütigt und verächtlich gemacht. Dies ist eine Form der psychischen Gewalt.

Auf einer etwas anderen Ebene zeigt sich, dass mit rassistischen Äußerungen auch Stimmungen in der Mehrheitsbevölkerung hervorgerufen und/ oder mobilisiert werden können, die – gewissermaßen zusätzlich zu den direkt verletzenden und ausgrenzenden Absichten oder Wirkungen von Rede oder Text – u.U. eine offene und körperliche Gewalt zur Folge haben können. Und umgekehrt können nach einer erfolgten Gewalttat bestimmte Texte und Redeweisen dazu dienen, die Gewalt zu verharmlosen und/oder zu rechtfertigen und damit den Boden für weitere Gewalttaten vorbereiten. Dabei muss die erste Gewalttat selbst keineswegs – wie im Cartoon anzunehmen – aus rassistischen Motiven erfolgt sein.

Nicht nur Verführte oder Marionetten

Ich formuliere hier bewusst sehr vorsichtig, denn es reicht keineswegs aus, nur die inhaltliche Bedeutung einer Rede oder eines Textes zu analysieren und von hier aus auf die Wirkung zu schließen. Redeweisen und Texte veranlassen Menschen eben nicht immer zu den nahegelegten Reaktionen. Dies ist auch im Bereich Rassismus nicht anders. Es kommt hier auf das Kräfteverhältnis gegenüber konkurrierenden Redeweisen und Texten an – und es kommt darauf an, auf welche Denkmuster, Weltbilder, Logiken usw. sie im Alltag der Menschen treffen. Die allzu einfache Vorstellung der Manipulation bringt uns hier nicht weiter. Menschen sind nicht nur Marionetten oder Verführte. Nützlicher dürften Fragen sein wie: Warum wirkt eine rassistische Rede oder ein rassistischer Text im sozialen Kontext bestimmter Gruppen? Woran kann die rassistische Rede oder der rassistische Text anknüpfen? Weshalb erscheint der Text glaubhaft und sinnvoll, die Rede plausibel? Auf welche vorhandenen Interpretationsmuster treffen die Äußerungen? Welche Schlüsse und Konsequenzen werden daraus gezogen? Und welche werden durch den jeweiligen sozialen Kontext des Einzelnen (Freundeskreis, Familie usw.) oder auch durch institutionelle und strukturelle Bedingungen unterstützt?

Bedingungen mit eigener Sprache

Doch das Ganze ist noch komplizierter, denn Rede und Text vermitteln keineswegs immer eindeutige Botschaften. Vielmehr haben wir es gerade auch im Bereich Rassismus häufig mit impliziten und subtilen Formen zu tun.

Dies gilt auch bei "besten Absichten". Stellen wir uns etwa in einer multikulturell und multilingual zusammengesetzte Klasse die Unterrichtseinheit "soziale Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit und Menschenrechte" vor – und gleichzeitig sind die Reinigungskräfte in der Schule ausschließlich eingewanderte Frauen, während die Leitung der Schule wie selbstverständlich einem Mann der Mehrheitsgesellschaft obliegt. Solche Verhältnisse können das gesprochene Wort unterlaufen und selbst eine Botschaft transportieren: Es wird u.U. vermittelt, welche Positionen in der Gesellschaft für welche Gruppen eigentlich vorgesehen sind und was von den wohlklingenden Reden der Lehrer/innen eigentlich zu halten ist.

Unbeabsichtigte Effekte

In meiner Forschungsarbeit zu Alltagsrassismus habe ich mich u.a. auch mit der Wirkung von Erklärungsmustern zu Rassismus und rassistischer Gewalt beschäftigt. Besonders aufschlussreich waren Argumentationen, die in oft unbeabsichtigter Weise zu bedrohlichen Effekten führten. Beispielsweise wollten Jugendliche in einer Diskussion gewalttätigen Rassismus mit einer Art "Sündenbocktheorie" erklären:

Timo: "Weil Arbeitslosigkeit herrscht und so ... ."

Martin: "Weil die Ökonomie so schlecht ist, und das müssen sie dann irgendwo dran abreagieren. Dann geben sie den Ausländern die Schuld."

Interviewer: "Aber angenommen, ihr würdet arbeitslos werden? Ist das denn automatisch so, dass das so passiert?"

Jan: "Darüber kannst du jetzt nicht urteilen, du weißt nicht, wie du dann reagieren wirst, wenn du dann arbeitslos bist. Das ist vielleicht in fünf, sechs Jahren ... ."

Die Antwort von Jan klingt auf den ersten Blick sehr ehrlich. Trotzdem wirkten solche und ähnliche Formulierungen bedrohlich – und zwar völlig unabhängig von den eigentlichen Standpunkten und Absichten der einzelnen Sprecher/innen, die sich oft tatsächlich deutlich gegen die verschiedenen Formen von Rassismus gerichtet haben. Die eingewanderten Jugendlichen bekommen hier nämlich das Signal, dass sie sich ihrer Mitschüler/innen keineswegs sicher sein können: Würden die Mitschüler/innen in naher Zukunft von Arbeitslosigkeit betroffen, so hielten diese es offenbar für durchaus möglich, selbst mit rassistischen Zuschreibungen zu reagieren.

Sensibel ohne Zeigefinger

Pädagoginnen und Pädagogen müssen lernen, solche möglichen Wirkungen zu erkennen. Dafür ist eine Reflexion über strukturell-institutionelle, implizite, subtile und unbeabsichtigte Formen von Rassismus unabdingbar. Allerdings sollte gerade in pädagogischen Arbeitsfeldern niemand gegenüber den Jugendlichen belehrend auftreten oder/und die jeweiligen Beiträge als rassistisch herabwürdigen. Droht eine unbeabsichtigte Wirkung, ist es besser, bei den vermuteten Haltungen gegen Rassismus anzuknüpfen und von hier aus gemeinsam und selbstreflexiv unbeabsichtigte Effekte zu untersuchen.

Zudem sollten LehrerInnen die Rolle einer "Sprachpolizei" vermeiden. Denn allzu schnell wird nur noch über den richtigen Gebrauch von Worten gestritten. Zweifellos ist es wichtig, so zu sprechen und zu schreiben, dass sich andere Menschen und vor allem verletzbare und benachteiligte Gruppen nicht diskriminiert fühlen. Gerade Pädagogen laufen jedoch Gefahr, sich bei Regelungen über den richtigen Gebrauch von Worten besonders wohl zu fühlen – gewissermaßen auf ureigenstem Terrain und ohne zu merken, wie sie sich über die Jugendlichen erheben und eine Struktur, die an Klassenarbeiten und Notengebung erinnert, reproduzieren.

Priv. Doz. Dr. Rudolf Leiprecht, Interkulturelle Pädagogik, Universität Oldenburg

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