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Arzu Altug: "Ich mag Herausforderungen"

Ein Portrait von Annette Volland


Kräftig scheint die Nachmittagssonne in das Büro. Arzu Altug, eine zierliche Frau mit raspelkurzen Haaren, dunklem Jacket und Jeans, steht vor dem Schreibtisch und telefoniert.

Den Hörer am Ohr tritt sie von einem Bein aufs andere, umrundet den Schreibtisch halb, ordnet mit der freien Hand ein paar Unterlagen. "Ja, natürlich, ich bin sehr interessiert! Leider habe ich an dem Tag schon einen Termin." Kurzes Lauschen. "Okay, dann machen wir nur eine lockere Kennenlernrunde. Schön!"

Seit Juni 1988 leitet die Sozialökonomin Arzu Altug das Referat für Interkulturelle Angelegenheiten in Hannover und ist seitdem ständig auf Achse, um sich und ihr Amt vorzustellen. Die "Europäerin mit türkischem Pass" ist die erste Nicht-Deutsche, die in der Stadtverwaltung eine leitende Position hat. Sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf fünfeinhalb Stellen gehören zum Referat. Der Ausländerbeirat und eine neue Antidiskriminierungsstelle sind ihm zugeordnet.

Die vierundvierzigjährige Chefin legt den Hörer auf, greift nach Tabak, Blättchen, Aschenbecher, setzt sich an den kleinen Konferenztisch. Es kann losgehen. Sie erklärt ihre Aufgabe. Man kann auch sagen: sie referiert. "Zum einen steht das Referat für eine interkulturelle Öffnung der Stadtverwaltung selbst, zum anderen natürlich auch für eine interkulturelle Öffnung der Gesellschaft mit allen darin befindlichen Institutionen."

Referatsleiterinnensprache. In der Verwaltung lauern überall Fettnäpfchen. Arzu Altug sieht zum Fenster, während sich ausgesuchte Substantive beeilen, den Gedanken hinterher zu kommen. Was ihr am meisten Spaß mache an der Aufgabe? Sie stutzt. "Mir etwas ganz Neues zu erarbeiten! Zum Beispiel Baupläne. Davon hatte ich bisher keinen Schimmer. Das wird interessant." Etwas Spitzbübisches blitzt auf im bisher so amtlichen Gesicht. "Ich mag Herausforderungen. Schon immer!"

Vierzehn Jahre hatte Arzu Altug in Istanbul gelebt, dann zog sie zur Mutter nach Berlin. Die war als Fabrikarbeiterin von AEG Telefunken angeworben worden und holte ihre drei Töchter nach. "Ich bekam einen Kulturschock in Berlin", sagt Arzu Altug. "Eine Einzimmerbude mit Küche und Plumpsklo auf halber Treppe! Solche Verhältnisse kannte ich nicht. Wir hatten in der Türkei zwar kein Geld, aber immerhin eine Dreizimmer-Wohnung mit Garten und Bad."

Die Vierzehnjährige konnte Englisch, aber kein Deutsch und landete in Kreuzberg in einer sogenannten Übergangsklasse für türkische Kinder. "Niemand hat mit unserer Karriere gerechnet, niemand hat uns irgendeine Chance gegeben. Als mir das bewusst wurde, dachte ich: Ich muss sofort in die Regelklasse."

Das bedeutete, dass sie kämpfen musste. Mit ihrem mangelhaften Deutsch rechnete sie sich schlechte Chancen aus, den Rektor zu überzeugen. Also bat sie einen türkischen Lehrer, sie als Übersetzer zu begleiten. "Stimmt, ich kann kein Deutsch", sagte sie dem Rektor. "Ich will es aber lernen. Was verlieren Sie denn, wenn Sie es mich versuchen lassen?" Es war der erste Sieg in einer Reihe von Kämpfen, die Arzu Altug stark gemacht haben.

Als erste türkische Apothekenhelferin in Berlin übersetzte und beriet sie nicht nur bei medizinischen Problemen. Als sie die Apotheke wechselte, wechselten ihre Kunden mit. Abends machte sie den Realschulabschluss, wurde Gemeinwesenarbeiterin. Wechselte zur Robert-Bosch-Stiftung, erkämpfte eine Einstufung wie eine Sozialarbeiterin. Zog nach Hamburg und studierte auf dem zweiten Bildungsweg. Ging für den DGB nach Braunschweig, Hannover, Kassel, Wiesbaden. Wechselte in die Geschäftsstelle der hessischen Ausländerbeiräte. Jetzt wohnt sie wieder in Hannover. "Ich bin Neuanfänge gewöhnt. Es ist natürlich jedesmal eine Herausforderung! Es dauert, bis private Kontakte geknüpft sind. Aber ich kann mich gut allein beschäftigen. Ich bin gern zu Fuß unterwegs und erobere mir langsam die Stadt."

Ihrem Lebensgefährten ist sie durch den Umzug näher gekommen: er lebt in Göttingen. Sie hätte pendeln können, aber Arzu Altug wohnt gern allein.

Auch Mutter und Schwestern mussten sich damit abfinden. "Wir haben früher ganz viel zusammen gemacht. Bis meine Mutter mich rausgeschmissen hat." Die Referatsleiterin grinst. "Meine Mutter ist enorm dickköpfig", sagt sie stolz.

Es ist dämmrig geworden im Büro. Arzu Altug dreht routiniert eine Zigarette über ihrer Untertasse und erzählt vom Showdown vor 24 Jahren: Eine durchfeierte Party, eine Mutter, die die Tochter mit Nichtachtung straft, eine Tochter, die ihren Auszug androht und, weil die Mutter sich unbeeindruckt zeigt, auch durchzieht. "Danach sind wir Freundinnen geworden." Ein Zug an der Zigarette.

"Gut". Schluss für heute mit dem gemütlichen Teil. Mit kurzem Griff schaltet Arzu Altug die Neonröhren an. Der Schreibtisch wartet.

Annette Volland, Dipl. Journalistin, Hannover

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