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Fatma Sarigöz: Direkt vor der Haustür ... Eine kulturelle Entdeckungsreise

Man muss nicht lange suchen, um kulturelle Begegnungen im städtischen Alltag zu finden. Die Journalistin Fatma Sarigöz hat sich für Betrifft auf Entdeckungsreise begeben.

"Kultur ist für mich eine Art Trost – sie bietet die Möglichkeit,
sich zurückzuziehen vom Alltag und sich auf andere,
neue Gedankeninseln zu begeben."
Niki Eideneier, Verlegerin

Ein großer Saal in einem renommierten Bonner Geschäft. Die Wände sind geschmückt mit Teppichen, einige dieser geknoteten Kunstwerke liegen gefaltet auf dem Boden. Improvisierte Sitzmöglichkeiten. Warmes, abgedunkeltes Licht. Mucksmäuschen still ist es im Raum bis auf die Musik – einer Musik, die aus der weiten Ferne kommt. Mit leisen, von Trauer erzählenden Tönen, nach Ruhe und Versöhnung suchend. Das Instrument, aus dem die fremde Melodie ertönt, ist nicht zu sehen. Die Musik ist auf Glanzscheiben konserviert. Die Türken nennen es ney, die Perser nay – ein Blasinstrument, das aus Schilfrohr gebaut wird.

"Es schien unmöglich zu sein, diese Musik aufzutreiben", erzählt Stefania Adomeit. Doch endlich fand die Chansonsängerin die passenden musikalischen Klänge für ihre Märchenlesung. Der Saal ist rappelvoll. Um die 200 Gäs-te sind es auf jeden Fall. Nicht einmal Stehplätze gibt es noch, geschweige denn Sitzplätze. Im Publikum sind fast ausschließlich Nicht-Migranten, die den Weg zu diesem ungewöhnlichen, aber doch naheliegenden Ort der Lesung gefunden haben. Die Märchen, die Stefania Adomeit ausgesucht hat, sind ausschließlich persische. Sie erzählen von schönen Prinzen und Prinzessinnen, von der Liebe, dem Glück, der Sehnsucht und natürlich von der Eifersucht.

"Ich verpasse keine Lesung," sagt eine Dame mit grauen Haaren, "denn hier kann man in eine Welt tauchen, die weit weg ist von Stress und Hektik."

"Der Mensch befindet sich in seinem Leben auf der Suche.
Er hat individuelle Fragestellungen und Bedürfnisse.
Kultur bietet hier Möglichkeiten an, Antworten zu finden."
Gerald Pursche, Student

Ein anderer Ort, ein anderer Hauch von Atmosphäre. Etwas distanziert, aber sehr angenehm. Wir sind im Japanischen Kulturinstitut in Köln. Im Foyer sind Tische aufgebaut, darauf Getränkeflaschen und reihenweise Gläser. Eine Ausstellung wird heute Abend eröffnet: "Painting for Joy: New Japanese Painting in 1990s". Masaru Sakato, der Direktor des Instituts, beginnt mit seiner Eröffnungsrede: "Auch in diesem Jahr möchten wir Ihnen mit unseren Ausstellungen verschiedene Facetten der japanischen Kunst vorstellen." Diesmal stehen Werke von Künstlern auf dem Programm, die Ende der 50er, Anfang der 60er geboren wurden – ihre Namen sind nicht nur in der japanischen Kunstszene bekannt. Die Ausstellung soll dem Besucher vor allem die Freude vermitteln, die von den Künstlern beim Malen empfunden wurde. Diese Freude findet sich mal in dem ausgesuchten Titel für ein Werk wieder, mal in einer ungewöhnlichen Perspektive.

Das Japanische Kulturinstitut in Köln ist eines von 19 überseeischen Vertretungen der Japan Foundation. Sein Auftrag: im gesamten Bundesgebiet das Verständnis für die japanische Kultur und Gesellschaft fördern durch Stipendien für Japanaufenthalte, durch kulturelle Veranstaltungen zu traditionellen wie auch zeitgenössischen Formen der darstellenden Künste. Vieles wurde im Institut oder an anderen Orten bisher gezeigt: Bunraku-Puppentheater, Pantomime, Tanzformen, Noh-Theater, althergebrachte Musikrichtungen, Neue Musik, Filmreihen und Ausstellungen. Und das Angebot wird gern angenommen. Eine Frau mit Pelzhut: "Einen direkten Bezug zu diesem Land habe ich nicht, aber die Ruhe, die mir in dieser Kultur begegnet, finde ich faszinierend."

"Kultur erweitert die Perspektive, sie gibt die Möglichkeit,
das Leben sinnvoll zu gestalten.
Es kommt aber darauf an,
so viele wie möglich zu pflegen.
Denn mit nur einer Kultur kann man nicht vergleichen."
Ömer Kurumahmutolu, Maschinenbautechniker

Die verschiedenen Facetten der Kultur seines Landes kann Djafar Mehrgani zwar nicht abdecken, aber seine Buchhandlung "Mehr" ist etwas Außergewöhnliches. Beim Betreten des schlauchförmigen Ladens in Köln ist man zunächst irritiert: Eine Duftmischung aus verschiedenen Gewürzen strömt einem entgegen. Wie auf einem Bazar. In einem Regal ist auch die Quelle der Gewürzwolke zu sehen: Kardamom, Cumin, Zinnamon und noch viele andere. Ist das vielleicht doch keine echte Buchhandlung? Zumal in weiteren Regalen Produkte plaziert sind, die dem Laden den Charakter eines Lebensmittelgeschäftes verleihen: Brotaufstriche, eingelegtes Gemüse, Hülsenfrüchte, Rosenwasser, Zitrusfrüchte, Granatäpfel. An der gegenüberliegenden Wand hinter der Kasse Videofilme und Musikkassetten. Trotz allem – "Mehr" ist eine echte Buchhandlung mit vielen, vielen Büchern: Schulbücher, Sachbücher, Wörterbücher, Kochbücher, Gedichtbände, Romane, nicht zu vergessen die Zeitungen und die Zeitschriften. Der Bauch des Ladens ist einfach voll mit Druckerzeugnissen.

Djafar Mehrgani kam vor 30 Jahren nach Deutschland, studierte Germanis-tik und Orientalistik. Der Mann mit den grauen Schläfen bietet nun seit 15 Jahren seinen Kunden persische und zweisprachige Bücher an. In Köln und Umgebung leben etwa 7.000 Perser. "In erster Linie wenden wir uns an die jüngere Generation", so Mehrgani, "sie wächst hier auf, fern von dem Land, der Geschichte und der Kultur der Eltern. Aber für einen Menschen ist es wichtig, seine Wurzeln zu kennen, damit er seinen Weg finden kann." Auch deutschen Kunden möchte Mehrgani die Kultur seines Heimatlandes vermitteln. Große persische Dichter wie Fer-dausi, Hafis, Sadi oder Hayyam sind im deutschsprachigen Raum mehr oder weniger bekannt, zeitgenössische Lyriker und Schriftsteller aber überhaupt nicht. Schahriar beispielsweise ist der Hayyam von heute im Iran, für den sich kein deutscher Verlag interessiert." So bringt Mehrgani Schahriar und all die anderen selber heraus, denn außer Buchhändler ist er auch noch Verleger.

"Kultur ist für mich die Wurzel. Sie bietet Hilfe zur
Orientierung und sie hat eine Vermittlerfunktion."
Djafar Mehrgani, Buchhändler und Verleger

"Zu welcher Kultur ich mich zugehörig fühle,
ist teilweise durch die Geburt bedingt. Meine Mutter brachte
mich in Polen auf die Welt, dort habe ich meine ersten 12 Jahre verbracht.
Das prägt. Es ist aber auch eine Frage der
persönlichen Entscheidung. Ich lebe in Deutschland,
ich habe mich für dieses Land entschieden.
Irgendwo spielt auch der Zufall eine Rolle: Die dänische Kultur
interessiert mich sehr. "
Tina Samulski, Studentin der Skandinavistik

Auch Niki Eideneier und Kostas Papakostopoulos haben das eine Ziel: die Kultur des Herkunftlandes sowohl den Landsleuten als auch den Deutschen zu vermitteln und zwischen den Kulturen Brücken zu schlagen. Eideneier und Papakostopoulos kommen aus Griechenland, sie verlegt Bücher, er bringt Theaterstücke auf die Bühne.

Es war eine ähnliche, frustrierende Situation wie bei Djafar Mehrgani, die Niki Eideneier zu der Entscheidung brachte, in eigener Regie Bücher zu verlegen. Das war 1982. Damals übersetzten sie und ihre Freunde moderne griechische Literatur, aus Freude und persönlichem Interesse. "Aber es war unglaublich schwierig, einen deutschen Verlag zu finden, der bereit war, diese übersetzten Werke zu publizieren." Da war die Idee geboren, einen eigenen Verlag zu gründen. Eideneier: "Die Kultur Griechenlands erschöpft sich nicht in Säulen der Antike und in Alexis Sorbas."

Niki Eideneiers Ein-Frau-Betrieb in Köln heißt Romiosini Verlag. Die engagierte Verlegerin hat mittlerweile über 120 Titel der modernen griechischen Literatur dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Eine harte, aber ganz wichtige Arbeit. Denn es ist zwar nicht allein auf die Verdienste des Romiosini Verlags zurückzuführen, dass dieses Jahr die Frankfurter Buchmesse Griechenland zum Schwerpunktthema hat, aber unter anderem schon.

Neben der zeitgenössischen griechischen Kultur spielt die Migrationsliteratur im Eideneiers Verlag auch eine wichtige Rolle. Eine Reihe von Anthologien, Werke einzelner griechischer, in Deutschland lebender Autoren sind bisher erschienen. Diese Bücher sind zweisprachig, eines sogar dreisprachig wie das griechisch-deutsch-türkischen Lesebuch "Kalimerhaba".

Kostas Papakostopoulos ging einen anderen Weg als Niki Eideneier, um sein Ziel zu verfolgen. Er rief 1990 das Deutsch-Griechische Theater in Köln ins Leben. "Mich bewegte ein persönlicher Grund zu diesem Schritt. In den Jahren zuvor hatte ich Regieassistenz bei D. Gotscheff am Schauspielhaus in Köln und bei Frank Castorf an der Volksbühne Berlin gemacht. In dieser Zeit wurde mir bewusst, wie wenig für Griechen und andere Migranten in den Theaterprogrammen angeboten wird."

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