Vor Debatte im Bundesrat über Bundeshaushalt: Kritik aus Niedersachsen an Kürzungen bei Sozialem, Arbeit, Pflege und Integration
Am kommenden Freitag wird sich der Bundesrat unter anderem mit dem Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2024 befassen. Es sind erhebliche Kürzungen unter anderem in den Bereichen Soziales, Arbeit, Pflege und Integration zu erwarten. Vor den Beratungen der Länderkammer äußert sich Niedersachsens Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Andreas Philippi, folgendermaßen:
„Bei allen nachvollziehbaren Sparbemühungen dürfen wir den sozialen Frieden und die Zukunftsfähigkeit nicht aus den Augen verlieren. Mehr denn je müssen gesellschaftlicher Zusammenhalt, Teilhabe an Bildung, Ausbildung und Arbeit sowie die Unterstützung hilfebedürftiger Menschen die große Klammer des politischen Handelns sein. Mit Blick auf den Bundeshaushalt sehe ich allerdings einige Sparvorhaben als kontraproduktiv an, um diese Ziele zu erreichen.
Sehr kritisch sehe ich das Vorhaben, die Arbeitsmarktintegration junger Erwachsener umzustrukturieren. Mir erschließt sich die Sparmaßnahme nicht, denn hier wird ein etabliertes System der ortsnahen, individuellen Betreuung aus einer Hand in zwei Hände gegeben. In Niedersachsen werden in dem bewährten Verfahren mehrere zehntausend Jugendliche sehr gut über die Jobcenter, Jugendwerkstätten Jungendberufsagenturen beim Übergang von der Schule in den Beruf betreut. Es droht eine Entscheidung zu Lasten dieser jungen Menschen, die eine intensive und nahtlose Unterstützung nötig haben. Zudem steht die engagierte und zweifelsfrei gute Arbeit der Jugendwerkstätten und der Jungendberufsagenturen auf der Kippe. Es steht damit zu befürchten, dass die kurzfristigen Einsparungen mittel- und langfristig individuelle und gesellschaftliche Folgekosten mit sich bringen werden. Diese negative Sozialreform durch die Hintertüre können wir daher nicht unterstützen. Die Bundesregierung muss diesen Schritt dringend noch einmal überdenken. Ich befürchte zudem, dass die Umstrukturierung in den Behörden viele Ressourcen binden und zusätzliche Bürokratie hervorbringen wird. Es werden zwischen beiden zuständigen Behörden neue Schnittstellen geschaffen und Verwaltungsabläufe etabliert werden. Ein Beitrag zum Deutschland-Pakt und Deutschland-Tempo ist dieser Schritt mit Sicherheit nicht.
Nicht nachvollziehbar sind auch die Einsparauflagen bei den Freiwilligendiensten. Vor dem Hintergrund des bröckelnden freiwilligen Engagements ist das offenkundig keine gute Idee. Streichungen bei den Freiwilligendiensten sind zudem mit Blick auf den eklatanten Fachkräftemangel in sozialen Berufen kurzsichtig. Wir haben viele junge Menschen, die über das FSJ oder den Bundesfreiwilligendienst den Einstieg in Pflege- oder Erziehungsberufe finden. Hier haben wir ständig wachsende Personalbedarfe, jede Kraft zählt. Und die Herausforderungen vor allem im Pflegebereich werden noch weiter zunehmen.
Bei der Pflege plant die Bundesregierung zudem, den Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro in den Jahren 2024 bis 2027 an die soziale Pflegeversicherung auszusetzen. Um kurzfristige Leistungseinbußen zu vermeiden, werden im Gegenzug die Zuführungen aus der Pflegversicherung in den sogenannten Vorsorgefonds reduziert. Dieser dient der Zukunftsfähigkeit der Pflegeversicherung mit Blick auf den demografischen Wandel. Damit ist kurzfristig Geld gewonnen, aber mittel- und langfristig werden Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen die logische Konsequenz sein. Das ist inakzeptabel, die Pflege ist schon jetzt für viele Menschen zum Luxusgut geworden. Alle Menschen haben das Recht, in Würde zu altern, nicht nur gut betuchte Bürgerinnen und Bürger. Der Bund muss den Zuschuss zur Pflegeversicherung daher spürbar ausweiten, mindestens aber bei dem bisherigen Niveau bleiben, ohne den Vorsorgefonds anzuzapfen.
Auch, dass die Migrationsberatung in der aktuellen Lage gekürzt werden soll, wirkt realitätsfern. Wir haben eine Lage, in der alle Anstrengungen für stabile Beratungsangebote in Sachen Integration mobilisiert werden müssten. Die Migrationsberatung ist ein wichtiger Baustein für erfolgreiche Integration. Wir brauchen absolute Verlässlichkeit und Kontinuität, anstatt Unsicherheit durch finanzielle Einschnitte.
Insgesamt zeigt sich großer Diskussionsbedarf über den Bundeshaushalt 2024. Das gilt nicht nur für Niedersachsen, sondern ich gehe von einer munteren Debatte über Ländergrenzen hinweg aus.“
Artikel-Informationen
erstellt am:
28.09.2023
Ansprechpartner/in:
Sebastian Schumacher