Rede des Niedersächsischen Gesundheitsministers Dr. Andreas Philippi
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.10.2025, TOP 20
„Eindämmung und Überwindung der COVID-19-Krise“
– Es gilt das gesprochene Wort –
„Als im Frühjahr 2020 die ersten Meldungen über ein neuartiges Virus unsere Nachrichten bestimmten, konnte niemand ahnen, welche Wucht dieses Virus entwickeln würde. Schon wenige Wochen später war klar: Es betrifft uns alle und zwar unmittelbar, tief und existenziell.
Von einem Tag auf den anderen standen Schulen und Kitas still. Geschäfte schlossen, Sportplätze blieben leer, Theater und Konzertsäle dunkel. Wir spürten eine Unsicherheit, wie es sie in unserer Generation noch nie gegeben hatte. Und wir mussten begreifen: Diese Pandemie war nicht irgendeine Krise – sie war ein tiefer Einschnitt in unser Leben.
Wir alle erinnern uns an diese Zeit. Wir erinnern uns an die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Wir erinnern uns an die leeren Straßen, an Hamsterkäufe und an das Gefühl, dass die Welt stillsteht. Aber wir erinnern uns auch an das, was diese Gesellschaft in dieser Situation hervorgebracht hat: Solidarität. Verantwortung. Zusammenhalt.
Seit Beginn der Pandemie infizierten sich in Deutschland mehr als 39 Millionen Menschen mit COVID-19. Das entspricht etwa 47 % der Bevölkerung Deutschlands. In Niedersachsen wurden bislang über 3,9 Millionen laborbestätigte COVID-19 Infektionen erfasst.
Doch vor allem erinnern wir uns an die Menschen, die wir verloren haben. Mehr als 187.000 Tote in Deutschland, davon fast 16.500 allein in Niedersachsen. Jede dieser Zahlen steht für eine Mutter, einen Vater, eine Großmutter oder einen Großvater, eine Freundin, einen Freund oder eine Kollegin oder Kollegen. Wir alle kennen jemanden, dessen Leben sich durch Corona für immer verändert hat. Darum lassen Sie uns an dieser Stelle innehalten. Lassen Sie uns an sie denken. Und lassen Sie uns die Verpflichtung spüren, aus ihrem Schicksal zu lernen.
Die Corona-Pandemie war eine Bewährungsprobe für unser Land – vielleicht die größte seit Bestehen der Bundesrepublik. Wir mussten in kürzester Zeit Strukturen nutzen, die so noch nie zum Einsatz kamen. Wir haben einen interministeriellen Krisenstab eingerichtet, der Tag und Nacht gearbeitet hat. Wir haben fortlaufend Verordnungen erlassen, geändert und die ergriffenen Maßnahmen ständig dem dynamischen Infektionsgeschehen angepasst. Allein 14 Stammverordnungen, mehr als 55 Änderungsverordnungen bezogen sich nur auf die Corona-Schutzmaßnahmen. Immer im Ringen darum, Menschenleben zu retten und zugleich Freiheitseinschränkungen so gering wie möglich zu halten.
Wir haben uns gestützt auf die Wissenschaft, auf die Expertise des Robert Koch-Instituts,
auf Empfehlungen der STIKO, auf Analysen unseres Landesgesundheitsamtes und auf die Erfahrungen in Kliniken, Praxen und den Gesundheitsämtern vor Ort.
Der Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtags tagte mindestens einmal, manchmal mehrfach wöchentlich als Coronaausschuss – anders als die anderen Landtagsausschüsse. Wir haben eng zusammengearbeitet und gemeinsam Verantwortung übernommen – mit dem Bund und den Ländern, mit Kommunen, mit Ärztinnen und Ärzten, mit Krankenhäusern, mit allen, die Verantwortung tragen. Und ich sage mit Stolz: Niedersachsen ist im bundesweiten Vergleich gut durch diese Pandemie gekommen. Aber, lassen Sie mich ebenso klar sagen: Es waren auch schwierige Entscheidungen zu treffen, die wir mit dem heutigen Wissen anders fällen würden.
- Die langen Schulschließungen haben Kinder und Jugendliche hart getroffen. Wir wissen heute: Bildung ist mehr als Unterrichtsstoff. Bildung bedeutet soziale Entwicklung, bedeutet Begegnung, bedeutet Chancen. All das war für Wochen und Monate eingeschränkt – und die Folgen spüren wir bis heute.
- Auch in der Jugendarbeit waren die Einschränkungen rückblickend betrachtet teilweise strenger, als sie hätten sein müssen.
- Dies galt ebenfalls in der Kultur. Kultur ist kein Luxus. Kultur ist Teil unserer Bildung, Teil unserer Identität, Teil dessen, was unser Leben lebenswert macht.
- Und auch die Einschränkungen für Familien, gerade für sozial benachteiligte Familien, waren besonders schwer. Heute können wir sagen: Mit dem Wissen von heute bewerten wir möglicherweise die ein oder andere Entscheidung anders als damals.
Die notwendigen Isolierungsmaßnahmen haben viele Menschen in Einsamkeit gelassen, in denen sie auf soziale Kontakte angewiesen waren. Aber ich sage ebenso: Eine Demokratie zeigt ihre Stärke darin, im Diskurs zu bleiben und immer wieder das Handeln zu hinterfragen und vielstimmig, aus vielen Richtungen zu bewerten. Und genau das tun wir. Wir lernen. Wir investieren. Wir bereiten uns vor.
- Mit dem Forschungsnetzwerk COFONIhaben wir über 130 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an 24 Einrichtungen vernetzt. Dort werden antivirale Medikamente entwickelt, neue Impfstoffe erprobt, Long-COVID erforscht. Niedersachsen ist hier Vorreiter.
- Mit dem Programm „Startklar in die Zukunft“ haben wir über 6.000 Projekte an Schulen und Kitas ermöglicht. 222 Millionen Euro haben wir investiert, mehr als 3.500 zusätzliche Kräfte eingestellt – um Lernrückstände aufzuholen und die seelischen Folgen für Kinder und Jugendliche abzumildern.
- Wir haben den Öffentlichen Gesundheitsdienst massiv gestärkt.
- Wir haben digitale Systeme ausgebaut, die heute schneller und sicherer Daten austauschen können als je zuvor.
- Und wir überarbeiten gemeinsam mit dem Bund den nationalen Pandemieplan, in den die Erfahrungen der COVID-Pandemie einfließen.
All das sind konkrete Schritte. Und sie zeigen: Niedersachsen ist heute besser vorbereitet als je zuvor.
Aber auch auf Bundesebene wird an einer Aufarbeitung der Corona-Pandemie gearbeitet. So hat der Deutsche Bundestag am 10. Juli dieses Jahrs die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. Der Enquete-Kommission gehören 14 Mitglieder des Deutschen Bundestages und 14 Sachverständige an. Die Enquete-Kommission soll ein Gesamtbild der Pandemie, ihrer Ursachen, Verläufe und Folgen einerseits sowie der staatlichen Maßnahmen andererseits umfassend und verständlich aufzeigen und dazu Daten und Fakten zugänglich machen und Transparenz stärken.Das Ziel ist, beim Auftreten einer vergleichbaren Pandemie aus den Erfahrungen heraus so vorbereitet zu sein, dass schnell, wirksam und mit einer klaren Kommunikation der Ziele gehandelt werden kann.
Der Bericht dieser Kommission ist bis zum 30. Juni 2027 vorzulegen. Dieser Bericht wird uns möglicherweise weiterhelfen als die Große Anfrage der Fraktion der AfD; auf die wir heute die Antworten vorlegen.
Die Pandemie hat uns mehr gelehrt als nur medizinische Fakten. Sie hat uns gezeigt, dass Gesundheitsschutz mehr als Intensivbetten, Impfstoffe, FFP2-Masken und (Taucherbrillen) ist.
Gesundheitsschutz heißt auch: Kinder dürfen nicht die größten Lasten tragen. Gesundheitsschutz heißt: Wissenschaft und Politik müssen einander zuhören, voneinander lernen und miteinander handeln. Und Gesundheitsschutz heißt vor allem: Wir brauchen Vertrauen. Vertrauen in Institutionen. Vertrauen in Politik. Vertrauen in Wissenschaft. Und Vertrauen zueinander. Wir alle haben erlebt, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist – aber auch, wie stark sie sein kann. Wir haben erlebt, wie schwer es ist, Einschränkungen zu ertragen – aber auch, wie viel Solidarität daraus erwachsen kann. Wir haben erlebt, wie schnell Falschinformationen Vertrauen zerstören – aber auch, wie wichtig Aufklärung, Transparenz und offene Kommunikation sind.
Und deshalb sage ich: Der wichtigste Schutzschild gegen jede künftige Krise ist neben dem richtigen Impfstoff oder Medikament – eine starke, informierte und solidarische Gesellschaft.
Wir stehen heute hier mit mehr Erfahrung, mehr Wissen und mehr Stärke. Wir haben gelernt, wir haben investiert, wir konnten auf starke Strukturen bauen. Und wir haben die wichtigste Erkenntnis gewonnen: Nur gemeinsam sind wir stark! Deshalb blicke ich trotz aller Narben und trotz aller Verluste mit Zuversicht nach vorn. Ich blicke mit Zuversicht, weil ich weiß:
Niedersachsen ist heute gut vorbereitet. Wir sind vorbereitet auf neue Krisen, auf neue Herausforderungen und wir können sie meistern.
Die Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind – aber auch, wie stark. Sie hat uns Fehler vor Augen geführt – und uns gelehrt, es besser zu machen. Lassen Sie uns weiter kritisch, wachsam und solidarisch sein. Und lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass unser Land auch in Zukunft stark, gerecht und widerstandsfähig bleibt.
Vielen Dank.“
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.10.2025
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