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Niedersachsen regelt Kostenübernahme für vertrauliche Beweissicherung bei häuslichen oder sexuellen Gewaltdelikten – Netzwerk ProBeweis/MHH

Gesetzliche Krankenkassen und Land schließen Vertrag


Bei häuslicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen besteht für die Betroffenen eine hohe Hemmschwelle, ihre Rechte wahrzunehmen und direkt bei der Polizei eine Anzeige zu erstatten. Viele Gewaltopfer können sich erst mit zeitlichem Abstand zur Tat durchringen, Strafanzeige zu stellen. Etwaige Spuren oder Befunde, die für die strafrechtlichen Ermittlungen von Relevanz sind, können dann oft nicht mehr gesichert und dokumentiert werden. Seit 2012 bietet daher das an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) verankerte Netzwerk ProBeweis Betroffenen von häuslicher oder sexueller Gewalt eine verfahrensunabhängige und vertrauliche Spurensicherung an. Mittlerweile verfügt Niedersachsen mit 45 Untersuchungsstellen an 39 Partnerkliniken über ein flächendeckendes Beweissicherungsangebot für Gewaltopfer.

Mit der heutigen Unterzeichnung hat Niedersachsen als erstes Bundesland die Finanzierung dieser rechtsmedizinischen Leistungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen final geregelt und in einen Vertrag überführt. Damit wird die forensische Spurensicherung durch das Netzwerk ProBeweis ab 1. Januar 2024 eine kassenfinanzierte Leistung nach Sozialgesetzbuch V. Zudem wird die landesseitige finanzielle Unterstützung vom Netzwerk ProBeweis ebenfalls ab 1. Januar 2024 deutlich verbessert.

Niedersachsens Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Andreas Philippi, kam am heutigen Mittwoch in die Medizinische Hochschule Hannover, um den entsprechenden Vertrag im Beisein von Professor Dr. Michael Manns, dem Präsidenten der Medizinischen Hochschule Hannover und – stellvertretend für die GKV – dem Leiter des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in Niedersachsen, Hanno Kummer, die finale und symbolische Unterzeichnung vorzunehmen. Professor Dr. Anette S. Debertin, Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover und bereits seit 2012 Koordinatorin und Leiterin vom Netzwerk ProBeweis, stellte die Arbeit des Netzwerkes vor.

Dr. Andreas Philippi erklärte im Rahmen der Unterzeichnung: „Wir fördern in unserem Flächenland seit vielen Jahren das Netzwerk ProBeweis, und ich bin sehr froh darüber, dass wir die Leistungen dieses wichtigen Netzwerkes jetzt zu einer echten Kassenleistung machen. Wir haben in Niedersachsen ein Verfahren etabliert, das auf höchsten medizinischen Standards beruht, das rechtssicher ist und gleichzeitig den psychischen und physischen Belastungen von Gewaltopfern Rechnung trägt. Dass dieses Konzept seit über zehn Jahren sehr überzeugend umgesetzt wird - bisher aus den Landesmitteln in Höhe von 310 000 Euro jährlich - ist der entscheidende Punkt bei der Einführung als gesetzliche Kassenleistung. Es ist auch Ausdruck der Qualität bei der Spuren- und Befundsicherung, dass wir diese Einigung erzielen konnten. Ich danke der MHH und den Gesetzlichen Krankenkassen für die konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Gewaltopfer, meistens Frauen. Die herausragende Arbeit vom Netzwerk ProBeweis hat sich weit herumgesprochen, so dass immer mehr Opfer dieses wichtige Angebot nutzen. Ich freue mich daher, dass wir die bisherige Landesförderung mit 100.000 Euro um rund ein Drittel auf 410.000 Euro im Jahr 2024 spürbar aufstocken können. Aus diesem deutlich größeren Topf kann dann auch die Beweissicherung von nicht beziehungsweise privat versicherten Opfern finanziert werden, die das Bundesgesetz leider nicht enthält.

Ich danke den Gesetzlichen Krankenkassen namentlich der Allgemeinen Ortkrankenkasse (AOK), Techniker Krankenkasse (TK), BARMER, DAK-Gesundheit, Kaufmännische Krankenkasse – KKH, Handelskrankenkasse (hkk), HEK – Hanseatische Krankenkasse, BKK Landesverband Mitte, IKK classic, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) und KNAPPSCHAFT.“

Seit 2012 konnten bereits 1.707 vertrauliche Spurensicherungen vorgenommen werden. Bei etwa jedem zweiten Fall geht es um Gewalt im häuslichen Kontext. Etwa fünf Prozent der Untersuchten sind Männer. Etwa 15 bis 20 Prozent führten zu Anzeigen – darunter auch rechtskräftige Verurteilungen.

Professorin Debertin betonte: „Wir danken dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung für die kontinuierliche Unterstützung und sehen uns in unserer Vorarbeit zur Verbesserung der Versorgung von Gewaltbetroffenen bestätigt. Die Anerkennung der vertraulichen Spurensicherung als Kassenleistung stellt einen Meilenstein im Umgang mit dem Thema häuslicher und sexueller Gewalt dar. Niedersachsen profitiert von der Verstetigung der Strukturen vom Netzwerk ProBeweis, auch zur flächendeckenden Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention.“

Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen: „Opferschutz steht an oberster Stelle. Die AOK Niedersachsen hat das wichtige Projekt zur vertraulichen Spurensicherung bereits in seiner Pilotphase gefördert. Wenn rechtsmedizinische Leistungen anonym übernommen und abgerechnet werden, hilft das die Betroffenen nicht zusätzlich zu belasten oder zu gefährden. Dieser Vertrag ist ein Beitrag, Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt zum wichtigen Schritt der Beweissicherung zu ermutigen.“

Hanno Kummer, Leiter der vdek-Landesvertretung: „Aus voller Überzeugung leisten wir unseren Beitrag als Hilfe für Betroffene. Dazu haben wir uns bei der Kostenübernahme auf ein Abrechnungsverfahren verständigt, das Vertraulichkeit garantiert: Personenbezogene Daten werden nicht an die Krankenkassen weitergeleitet. Die Kassen teilen sich die Kosten nach Marktanteil, nicht nach Inanspruchnahme durch die eigenen Versicherten.“

Jörg Kamphenkel, Landesvertragspolitik Mitte-Ost der IKK-classic: „Durch das Netzwerk ProBeweis und den hierüber bereits etablierten Strukturen der Partnerkliniken konnte der Anspruch für unsere Versicherten auf eine vertrauliche Spurensicherung an einer Vielzahl von Orten realisiert werden. Opfer von häuslicher oder auch sexualisierter Gewalt haben die Möglichkeit, in weit über 40 niedersächsischen Krankenhäusern durch speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte Spuren dieser Gewalttaten umgehend und zudem vertraulich sichern zu lassen. So können Täter überführt werden, auch dann, wenn die Opfer gleich nach der Tat ggfs. noch nicht in der Lage sind, eine Strafanzeige zu stellen. Insbesondere dem andauernden Engagement der Akteure des Instituts der Rechtsmedizin für das Netzwerk ProBeweis ist es zu verdanken, dass darauf aufbauend vertragliche Regelungen zwischen dem Land, der MHH und der gesetzlichen Krankenversicherung getroffen werden konnten, die es in Niedersachsen bereits jetzt ermöglichen, allen gesetzlich versicherten Opfern eine unkomplizierte Hilfestellung anzubieten.“

Die Vertragsvereinbarung zwischen den GKV, der MHH/Netzwerk ProBeweis und dem Land Niedersachsen sieht vor, dass pro behandeltem Fall beziehungsweise erfolgter Spurensicherung 421 Euro netto pauschal an das Netzwerk ProBeweis erstattet werden. Hiervon wird das Netzwerk 200 Euro netto an die jeweilige leistungserbringende Klinik aus dem Netzwerk überweisen.

Bisher konnte das Netzwerk ProBeweis aus den Mitteln des Gesundheitsministeriums lediglich eine Fallpauschale von 50 Euro netto an die Kliniken auszahlen.

Für die gerichtsverwertbare Dokumentation werden die Betroffenen körperlich untersucht, nötigenfalls werden Proben entnommen. Verletzungen werden fotografiert. Alle Befunde werden manipulations- und zugriffssicher aufbewahrt und können im Falle einer Anzeige und Schweigepflichtsentbindung abgefordert und in ein Strafverfahren eingebracht werden.


Weitere Informationen und Kontakt:

Web: www.probeweis.de
Instagram: https://www.instagram.com/netzwerkprobeweis
E-Mail: probeweis@mh-hannover.de
Telefon: (0511) 532-4599.

Presseinformationen

Artikel-Informationen

erstellt am:
30.08.2023
zuletzt aktualisiert am:
05.09.2023

Ansprechpartner/in:
Anne Hage

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