Antwort auf die mündliche Anfrage: Wie begründet die Landesregierung ihre Ablehnung der Impfpflicht?
Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Bruns, von Below-Neufeldt, Försterling, Dürr, Eilers und Oetjen (FDP) geantwortet.
Die Abgeordneten Bruns, von Below-Neufeldt, Försterling, Dürr, Eilers und Oetjen (FDP) hatten gefragt:Wie begründet die Landesregierung ihre Ablehnung der Impfpflicht?
Der HAZvom 15. Juli 2013 war zu entnehmen, dass es zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung zu einem „Streit um Impfpflicht bei Masern“ gekommen ist. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) macht sich für eine bundesweite Impfpflicht bei Masern stark, die niedersächsische Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) hingegen betonte, dass sie nicht auf Impfpflicht, sondern auf Vernunft setze.
Damit widerspricht sie auch dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, der sich der Forderung nach einer Impfpflicht angeschlossen hat. „Der Nutzen der Impfung gegen Masern überwiege mögliche Risiken von Nebenwirkungen bei Weitem“, sagte Lauterbach der Braunschweiger Zeitung.
Ein weiterer prominenter Befürworter der Impfpflicht ist der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Wolfram Hartmann.
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung den Nutzen einer Impfung im Vergleich zu den Risiken?
- Wie schätzt die Landesregierung die Gefahr einer Masernerkrankung für Individuen bzw. die Gefahr einer Masernepidemie für alle Bewohner Niedersachsens ein?
- Wie begründet sie die Ablehnung der Impfpflicht?
Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
Im Bereich des Infektionsschutzes ist die Elimination von Masern und Röteln ein prioritäres Gesundheitsziel der Landesregierung. Sie unterstützt damit die internationalen Bemühungen des Europäischen Regionalbüros der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bis zum Jahr 2015 Masern und Röteln auszulöschen.
Im Jahr 2013 wurden in Deutschland mit Stand 18. August 2013 bislang 1.456 Fälle an Masern an das Robert Koch-Institut gemeldet. Schwerpunkte dieser Epidemie sind Berlin (468 Fälle) und Landkreise im Süden Bayerns (670 Fälle in ganz Bayern). Höhere Fallzahlen, jeweils im gesamten Jahr, sind seit der Erfassung in den Jahren 2001 (6.036 Fälle), 2002 (4.656 Fälle), 2006 (2.308 Fälle) und 2011 (1.608 Fälle) beobachtet worden. Auf Grund dieser Erkrankungszahlen in Deutschland bedarf es großer Anstrengungen, das gesetzte Ziel zu erreichen. Im Rahmen der Erörterung erforderlicher Maßnahmen wird regelmäßig auch die Einführung einer Impfpflicht angeführt. Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer entsprechenden Verordnung wäre nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowohl auf Ebene des Bundes als auch nachrangig auf der der Länder prinzipiell gegeben.
In den Sommermonaten wurde die Diskussion auch öffentlich geführt. Auf eine aktuelle Nachfrage zur Impfpflicht hat das Bundesministerium für Gesundheit folgende Stellungnahme abgegeben:
„Die hohe Zahl der Maserninfektionen in diesem Jahr hat zu einem großen Medienecho und zur erneuten kontroversen Diskussion über die Einführung einer Impfpflicht geführt. Herr Bundesminister Bahr hat sich in einem Interview gegenüber der Bildzeitung vom 2. Juli 2013 nicht für die Einführung einer Impfpflicht ausgesprochen, sondern darauf hingewiesen, dass es im Falle von gleichbleibend schlechten Impfquoten zukünftig zu einer Diskussion über eine Impfpflicht in Deutschland kommen werde. Von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit wurde auch in mehreren Interviews bekräftigt, dass derzeit keine Impfpflicht geplant sei, jedoch andere Möglichkeiten wie z. B. der vorübergehende Schulausschluss von nicht geschützten Kindern bei einem Masernausbruch geprüft und verstärkte Aufklärungsmaßnahmen geplant werden.“
Die Landesregierung begrüßt die Prüfung, ob der vorübergehende Schulausschluss von nicht geschützten Kindern bei einem Masernausbruch möglich ist. Diese Prüfung wurde bereits im Zuge eines Bundesratsbeschlusses aus dem Jahr 2011 zugesagt, wonach auf der Grundlage eines niedersächsischen Antrags eine entsprechende Änderung im IfSG vorgeschlagen wurde (s. hierzu BT-Drs. 17/5708, Anlagen 3 und 4 Nr. 6).
In Niedersachsen ist seit 2003 kein größerer Masernausbruch mehr aufgetreten. Nach aktuellen Angaben des Landesgesundheitsamtes wurden mit Stand 22. August 2013 bisher 15 Fälle übermittelt, von denen nach weiteren Ermittlungen neun Fälle als plausibel angesehen werden können. Es handelt sich um sporadische Einzelfälle. Im Jahr 2012 wurden lediglich sechs Fälle gemeldet. Damit wurde zum ersten Mal seit der Aufzeichnung weniger als ein Fall auf 1.000.000 Einwohner beobachtet. Dies entspricht der von der WHO vorgegebenen Zielgröße für die Zeit nach 2015.
Diese geringe Fallzahl in Niedersachsen lässt sich in erster Linie auf einen hohen Durchimpfungsgrad in der Bevölkerung zurückführen. Im Jahr 2011 lag die von den Kommunen ermittelte Quote für die erste Masernimpfung bei 96,8 % und für die zweite Impfung bei 92,9 %. 92,5 % der einzuschulenden Kinder legten den Impfausweis vor. Für die Erhebung im Jahr 2012 sind die Ergebnisse nach ersten Auswertungen unverändert hoch. Die Daten zur Durchimpfung werden jährlich durch das Niedersächsische Landesgesundheitsamt veröffentlicht (s. hierzu http://www. nlga.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=27093&article_id=19385&_psmand=20)
Darüber hinaus wird in Niedersachsen seit 2007 ein konsequentes Masernmanagement durchgeführt. Dadurch konnten größere Ausbrüche verhindert werden. Insbesondere kann damit auch erreicht werden, dass keine Masernfälle in andere Regionen exportiert werden.
Zentrales Element ist die Information der Ärzteschaft zur Impfung gegen Masern und zur Meldepflicht von Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfällen. Hier wird das Niedersächsische Ärzteblatt genutzt, zuletzt im März 2013.
Zu 1.:
Die Bewertung des Nutzens einer Impfung im Vergleich zu den Risiken wird laufend durch die Zulassungsbehörde vorgenommen. Daher liegt der Nutzen für jede zugelassene Impfung weitaus höher als mögliche Risiken.
Zusätzlich ist auf der Grundlage des IfSG die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) eingerichtet worden. Die Kommission erstellt Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen, insbesondere für Impfungen, für die neben einem individuellen Schutz ein positiver Einfluss auf der Bevölkerungsebene zum Beispiel durch den Aufbau einer sog. Herdenimmunität erwartet werden kann. Dazu recherchiert und bewertet sie kontinuierlich Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit der Impfstoffe und zur Epidemiologie und Krankheitslast impfpräventabler Erkrankungen sowie zu anderen Möglichkeiten der Prävention. Auf Grundlage dieser Daten nimmt sie eine medizinisch-epidemiologische Nutzen-Risiko-Analyse vor und berücksichtigt dabei auch Belange der praktischen Durchführung. Ihr methodisches Vorgehen und den Aufbau ihrer Begründungen legt die STIKO in einem Beschluss fest.
Wie alle von der STIKO empfohlenen Impfungen wird auch die Impfung gegen Masern in Niedersachsen öffentlich empfohlen. Damit schließt sich die Landesregierung der Einschätzung der STIKO zum Nutzen der Impfung an.
Zu 2.:
Die Landesregierung schließt sich der Expertenmeinung an, dass Masern keine harmlose Kinderkrankheit sind. Die Krankheit ist hochansteckend und kann erhebliche Komplikationen und Folgeerkrankungen mit sich bringen, insbesondere Lungenentzündungen, aber auch Entzündungen des Gehirns, in seltenen Fällen mit Todesfolge.
Masern zählen zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten überhaupt. Bei Auftreten kann sich die Erkrankung in einer ungeschützten Bevölkerung rasch und großflächig ausbreiten.
Eine einmal durchgemachte Erkrankung hinterlässt lebenslangen Schutz gegen eine erneute Erkrankung. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat die zweimalige Impfung gegen Masern - sinnvollerweise in Kombination mit Komponenten gegen Mumps und Röteln - die gleiche Wirkung. Bei einem ausreichend hohen Durchimpfungsgrad kann eine epidemiologische Barriere aufgebaut werden. Da das Masernvirus nur beim Menschen vorkommt, können auf diese Weise die Masern eliminiert werden.
Zu 3.:
Durch eine Impfung wird die körperliche Unversehrtheit verletzt und es bedarf daher der Einwilligung des Impflings oder der Sorgeberechtigten. Eine gesetzliche Impfpflicht greift stark in die Selbstbestimmung ein und bedarf daher einer besonderen Begründung. Immer ist zuvor zu prüfen, ob die Abwendung der gesundheitlichen Bedrohung der Bevölkerung nicht auch durch andere Maßnahmen erreicht werden kann.
Für Niedersachsen zeigen die oben dargestellten Ergebnisse, dass es einer Impfpflicht nicht bedarf. Durch die Impfbereitschaft der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Kombination mit aufsuchender Arbeit durch den kommunalen öffentlichen Gesundheitsdienst ist inzwischen ein hoher Durchimpfungsgrad erreicht, der dazu führt, dass sich in Niedersachsen Masern nicht mehr ausbreiten konnten, insbesondere auch nicht in Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche.
Beobachtungen der letzen Jahre - insbesondere aktuell in Berlin - zeigen jedoch, dass inzwischen vor allem auch erwachsene Personen erkranken. Daher hat die STIKO bereits im Jahr 2010 die Empfehlung der Impfung gegen Masern überarbeitet. Sie empfiehlt seither über das Kindes- und Jugendalter hinaus allen ungeimpften bzw. in der Kindheit nur einmalig geimpften nach 1970 geborenen Personen oder nach 1970 geborenen Personen mit unklarem Impfstatus, die im Gesundheitsdienst oder in Gemeinschaftseinrichtungen tätig sind und/oder Immundefiziente betreuen, die einmalige Impfung, vorzugsweise mit einem Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln.
Diese noch relativ neue Empfehlung ist noch nicht so bekannt, wie sie sein sollte. Deshalb unterstützt die Landesregierung alle Initiativen, den Personenkreis auf die Empfehlung hinzuweisen. Hierfür wird das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration im Niedersächsischen Impfforum zur Aktivierung der Schutzimpfung (NIAS) mit allen beteiligten niedersächsischen Verbänden und Expertinnen und Experten mögliche Maßnahmen erörtern. Da es sich um eine bundesweite Herausforderung handelt, sollten diese mit den Bundesbehörden und den Behörden der Länder abgestimmt sein. Für derartige Aktivitäten wird derzeit auf Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz eine Geschäftsstelle „Nationaler Impfplan“ eingesetzt.
29.08.2013
Artikel-Informationen
Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger