Schleppende Impfungen? Verspätete Testungen? Uneinheitliche Kommunikation?
Wie verantwortungsvoll handelt die Landesregierung in der entscheidenden Phase der Pandemie?
Antwort der Landesregierung auf die Dringliche Anfrage
Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens hat namens der Landesregierung auf eine Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geantwortet.
Die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatten gefragt:
Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder haben in einer Videoschaltkonferenz am 22. März und in einer weiteren am 24. März neue Beschlüsse zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie durch weitere Maßnahmen gefasst. Die Lage wird wie folgt beschrieben:
„Nach deutlich sichtbaren Erfolgen bei der Eindämmung des Infektionsgeschehens im Januar und Februar zeigt die aktuelle Entwicklung - insbesondere aufgrund der hohen Verbreitung von COVID-19-Variante B.1.1.7 - wieder ein starkes Infektionsgeschehen und eine exponentielle Dynamik. Das bedeutet, dass ohne deutlich einschränkende Maßnahmen die Zahl der Neuinfektionen so schnell steigen würde, dass bereits im April eine Überlastung des Gesundheitswesens wahrscheinlich ist.“
Zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder wurde u. a. vereinbart:
- Beibehaltung der bestehenden Beschlüsse,
- konsequente Einhaltung der Notbremse bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100,
- regelmäßige Testangebote von Unternehmen für Beschäftigte in Präsenz,
- zeitlich befristete Modellprojekte mit Lockerungen für einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens
- Quarantäneverschärfungen bei Einreisen und eine generelle Testpflicht bei Flügen in die Bundesrepublik,
- eine „erweiterte Ruhezeit“ über die Osterfeiertage -; dieser ursprüngliche Beschluss wurde am 24. März wieder zurückgenommen ‑,
- zusätzliche Maßnahmen durch Landesverordnungen, genannt werden hier
a. Ausgangsbeschränkungen und verschärfte Kontaktbeschränkungen,
b. Tragepflicht von medizinischen Masken im privaten Pkw, wenn haushaltsfremden Personen mitfahren,
c. In Bereichen, in denen die Einhaltung von Abstandsregeln und konsequente Maskentragung erschwert sind, Schnelltests zur Voraussetzung zu machen.
Schon während der sich abzeichnenden dritte Welle wurden seitens der Landesregierung Lockerungen im Hinblick auf einen möglichen Osterurlaub in Aussicht gestellt. Ebenfalls hat sich das Kabinett am 18. März .2021 auf Modellversuche unter dem Titel „Sichere Stadt - sichere Kommune durch Schnelltests“ geeinigt. Niedersachsen möchte nach Ostern den Einzelhandel unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen, und innerhalb der Landesregierung wird weiterhin die Inzidenz als Parameter des Infektionsgeschehens öffentlich diskutiert. § 28 a Abs. 3 des Infektionsschutzgesetztes schreibt vor: „Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.“
Daneben führen Lieferverträge über Schutzmasken zu breiter Berichterstattung. So titelte die Neue Osnabrücker Zeitung am 20. März 2021: „Das Land Niedersachsen hat Ärger mit einer mehrere Millionen OP-Masken umfassenden Lieferung aus China. Der Lieferant fiel zuvor schon in anderen Bundesländern negativ auf.“
Die Einrichtung von Testzentren für kostenfreie Corona-Schnelltestangebote geht in Niedersachsen nach Auffassung von Beobachterinnen und Beobachtern bisher schleppend voran. Mehrere Kommunen sorgen bisher in Eigeninitiative für kostenfreie Schnelltestangebote. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen bietet schrittweise über die Arztpraxen wöchentliche kostenfreie Schnelltests an. Am 22. März 2021 gibt es Corona-Selbsttests an den ersten Schulen in Niedersachsen. Zu vielen rechtlichen und organisatorischen Fragen bezüglich der Selbsttestungen gibt es seitens der Landesregierung bislang keine öffentlichen Aussagen.
Die Impfungen in der priorisierten Gruppe der über 80-Jährigen sind nach Auffassung von Expertinnen und Experten noch lange nicht abgeschlossen. Durch die Aussetzung der Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca kam es hier zu weiteren Verzögerungen. Die vorgesehenen Impfungen für Kita-Personal und Lehrkräfte laufen nach Aussagen Betroffener und von Verbänden schleppend an, ebenso für chronisch Erkrankte in den Prioritätsgruppen 2 und 3. Das Terminmanagement und die Koordination zwischen den kommunalen Impfzentren und dem Impfportal des Landes sind nach Medienberichten unübersichtlich und führen vor Ort zu doppelten Impfterminen und unklaren Zuständigkeiten.
Ministerin Daniela Behrens beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
̶ Es gilt das gesprochene Wort ̶
„Die Pandemiebewältigung erfordert lageangepasst eine Vielfalt an Maßnahmen.
Es geht hier
1. darum Infektionen zu verhindern,
2. Neuinfektionen frühzeitig zu erkennen,
3. Infektionsketten schnellstmöglich zu unterbrechen und
4. eine Grundimmunität der Bevölkerung zu erreichen
Das alles dient dem Ziel, die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe deutlich zu verringern, die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsversorgung zu erhalten und die medizinische Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Die Übertragung des Virus erfolgt von einem infizierten Menschen auf andere Menschen. Enge Kontakte, insbesondere in geschlossenen Räumen, fördern und begünstigen diese Übertragung.
Das Gleiche gilt für eine gesteigerte Mobilität, die Menschen in Verbindung bringt, die sonst in ihrem Lebensalltag keinen Kontakt miteinander hätten. Die sich ausbreitende Mutation B1.1.7 (UK Variante) verschärft diese Situation zusätzlich, weil sie deutlich ansteckender ist als das Ursprungsvirus in Deutschland. Aktuell ist auch in Niedersachsen eine steigende Anzahl von Neuinfektionen zu verzeichnen
Vor diesem Hintergrund haben Bund und Länder in dem Beschluss vom 22.03.2021 festgestellt, dass ohne Maßnahmen, die den Anstieg der Neuinfektionen begrenzen, bereits im April eine Überlastung des Gesundheitswesens wahrscheinlich ist.
Ein relevanter Teil der älteren Bevölkerung ist bereits geimpft. Die nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich höhere Sterblichkeit der Mutante B.1.1.7 und die Tatsache, dass jüngere Patienten generell eine längere Verweildauer auf der Intensivstation haben, trägt dazu bei, dass bei dem momentanen exponentiellen Wachstum erneut Überlastung des Gesundheitssystems droht. Deshalb sind Kontaktbeschränkungen weiterhin erforderlich. Deshalb ist die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter natürlich essentiell. Deshalb ist die Niedersächsische Teststrategie „Mehr Sicherheit durch gezieltes und umfassendes Testen“ weiter ausgebaut worden. Und deshalb werden verlässliche Impfstofflieferungen benötigt, damit in einem gemeinsamen Impfpakt möglichst schnell weite Teile der Bevölkerung geimpft werden können.
Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:
1. In welchen Bereichen (Kita, Schulen, Betrieben, ÖPNV, Tourismus, Einrichtungen der Eingliederungshilfe, Altenpflegeeinrichtungen, Krankenhäusern usw.), plant die Landesregierung welche Maßnahmen, um in der dritten Corona-Welle das Infektionsgeschehen nachhaltig zu reduzieren?
Die Maßnahmen und Beschränkungen auf der Grundlage der Niedersächsischen CoronaV umfassen alle Lebenslagen und alle Bereiche der Gesellschaft. Sie berücksichtigen sowohl die Erfordernisse des Infektionsschutzes als auch die Auswirkungen für das gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Leben
Gleichzeitig sind von dem Virus besonders bedrohte vulnerable Gruppen wie Heimbewohnerinnen –und bewohner und generell hochaltrige Menschen besonders zu schützen. Durch gezielte Testpflichten in Heimen und eine sehr hohe Priorisierung in der Impfreihenfolge erreichen wir dieses Ziel.
Gleichzeitig gilt es die Pandemiefolgen für Kinder und Jugendliche vor allem im Bildungsbereich abzumildern und auch hier durch eine klare Teststrategie und eine hohe Impfpriorität den Schutz und die Sicherheit zu erhöhen (siehe hierzu auch die Antwort zu Frage 2.)
Das Durchbrechen der dritten Welle erfordert auch weiterhin die konsequente Einhaltung der Abstandsregelungen, der Kontaktbeschränkungen und der Hygienemaßnahmen (AHA Regeln) in allen öffentlichen und privaten Lebensbereichen. Deshalb bleiben die Testregelungen in Heimen aufrechterhalten, ebenso die Inzidenz gebundenen Regeln für Schulen und Kindertageseinrichtungen.
In Hochinzidenzgebieten können die zuständigen Behörden darüber hinaus weitergehende Maßnahmen anordnen. Gleichzeitig wird die Landesregierung gemeinsam mit ausgewählten Modellkommunen erproben, inwieweit mit gezielter flächendeckender Testung und mit digitaler Kontaktnachverfolgung in einem festgelegten Gebiet Lockerungsschritte durchführen lassen, ohne dass die Zahl der Neuinfektionen dadurch wesentlich steigt.
- Betrieblichen Testungen
- Testungen von Kindern und Jugendlichen im Bildungs- und Betreuungsbereich.
- Kostenlose Jedermann-Testung oder auch „Bürgertestung“
- Laien- und Selbsttests für die eigene Anwendung.
1. Betriebliche Testungen. Hierzu gehört auch die tägliche Testpflicht in Alten- und Pflegeeinrichtungen, die Testpflicht der in fleischverarbeitenden Betrieben beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mindestens einmal wöchentlich.
Daneben ist das Land in einem regelmäßigen Austausch mit den Verbänden und Kammern der Wirtschaft.
Nach Auskunft der IHK Niedersachsen, dem Unternehmerverband Niedersachsen e. V., der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen und der Unternehmensverbände Handwerk Niedersachsen e. V. bieten bereits die Hälfte der niedersächsischen Unternehmen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Test an oder planen dieses in Kürze im Betrieb einzurichten.
Ca. 20 % der Unternehmen geben an, derzeit keine Tests anzubieten, weil sich keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro befinden würden (bspw. durch eine pandemiebedingte Schließung, Home-Office, mobiles Arbeiten etc.).
Als weitere Gründe, derzeit noch keine Tests anzubieten, geben rund ein Viertel der Unternehmen an, akute Schwierigkeiten bei der Beschaffung zu haben oder sogar Absagen von Lieferanten zu bekommen. Diesen Unternehmen bieten die UVN derzeit die Beschaffung über ihre Dienstleistungsgesellschaft an, soweit noch Ware im Markt verfügbar ist.
Eine Entspannung der Lage wird frühestens für die beiden Wochen nach Ostern erwartet. Dort, wo das Land Verantwortung für seine Beschäftigten hat, werden Testungen konsequent umgesetzt und noch weiter ausgebaut.
2. Testungen von Kinder- und Jugendlichen im Bildungs- und Betreuungsbereich
Im Bereich der frühkindlichen Bildung sind bereits umfangreiche Maßnahmen etabliert, die zu einer wirksamen Reduzierung des Infektionsgeschehens beitragen. So hat die Landesregierung frühzeitig einen Rahmen-Hygieneplan aufgelegt, der wesentliche Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen Hygienestandards vor Ort festlegt.
Als flankierende Maßnahmen unterstützt das Land Testungen des gesamten Personals in den Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflegepersonen. Diese Testungen, die derzeit im Umfang von einem Test je Woche und Person anteilig vom Land finanziert werden, werden wir für die Zeit nach Auslaufen der jetzigen Grundsatzvereinbarung (Ablauf: 04.04.2021) ausbauen.
Das Land will dann die Möglichkeit für das in den Kindertageseinrichtungen tätige Personal und die Kindertagespflegepersonen schaffen, wöchentlich zwei Testungen in Anspruch zu nehmen. Auch hier gilt, dass mehr Tests mehr Sicherheit bedeuten - und mehr Sicherheit bedeutet, dass mehr inhaltliche Angebote gemacht werden können.
Ferner fördert das Land über die Richtlinie IKiGa auch den Einsatz von Luftreinigungsgeräten.
Schließlich wurde – nicht zuletzt auch aufgrund der Bemühungen der niedersächsischen Landesregierung – die Impfverordnung des Bundes geändert, so dass das in der Kindertagesbetreuung tätige Personal nun bereits früher als geplant geimpft wird. Dies ist ein wichtiger - wenn nicht sogar der entscheidende Schritt - um das Infektionsgeschehen nachhaltig zu reduzieren.
3. Bürgertestungen
Mit der Novellierung der Coronavirus-Testverordnung des Bundes vom 08.März 2021 ist ein Testanspruch aller Bürgerinnen und Bürger auf mindestens einen kostenlosen wöchentlichen PoC –Antigen-Test festgeschrieben worden.
Dazu ist ein flächendeckendes Netz an Teststellen, Testpraxen, Apotheken, privaten Anbietern und den Testangeboten der Hilfsorganisationen aufgebaut worden. Dieses wird konsequent weiter ausgeweitet.
Aktuell bieten neben den Testzentren und privaten Laboren bereits 2.092 Arzt-und Zahnarztpraxen sowie 580 Apotheken kostenlose Testungen an.
4. Laien- und Selbsttests
Laien-/und Selbsttests sind kostenpflichtige Schnelltests zur Eigenanwendung für Laien, die im betrieblichen und im privaten Kontext zur Anwendung kommen.
Bei zukünftigen Öffnungsschritten kann der Selbsttest als Alternative vor dem Betreten einer Einrichtung, eines Betriebes oder eines Veranstaltungsortes mit Testpflicht in Anwesenheit einer von der Einrichtung, dem Betrieb oder dem Veranstalter beauftragten Person angewendet werden.
3. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes ergreifen, um das Wachstum der Infektionen zu stoppen und einen Rückgang der Sieben-Tages-Inzidenz sicherzustellen?
Die Landesregierung überarbeitet die aktuell gültige Niedersächsische Corona-Verordnung. Die Ressort-Abstimmung läuft. Zum Wochenende werden die Änderungen in Kraft treten. Im Moment werden verschiedene Maßnahmen mit den Ressorts und den kommunalen Verbänden abgestimmt.
Wir setzten die Impfkampagne intensiv fort. In den Alten- und Pflegeheimen sind die Infektionszahlen deutlich gesunken. Dies ist bereits ein Erfolg der Impfung und zeigt, dass es richtig war, diese Menschen vorrangig zu impfen.
Ab April hat der Bund eine verlässliche wöchentliche Impfstofflieferung an die Länder verbindlich zugesagt. Ergänzend ist der Bund nach Ostern nunmehr auch in der Lage, die ambulante hausärztliche Versorgung mit Impfstoff zu versorgen und damit flächendeckend in die Impfkampagne einzubeziehen.
Unter der Voraussetzung, dass die vom Bund zugesagten Impfstofflieferungen eintreffen, wird das Impftempo in den Impfzentren sowie der Impffortschritt durch die Unterstützung seitens der Hausarztpraxen und im nächsten Schritt ergänzt durch die Betriebsärzte deutlich gesteigert.Geplant sind allein in den Impfzentren durchschnittlich 215.000 Impfungen pro Woche. Hinzu kommen die Impfungen in den Arztpraxen. Daneben wird die niedersächsische Teststrategie
„Mehr Sicherheit durch gezieltes und umfassendes Testen“ einen wesentlichen Beitrag zum frühzeitigen Erkennen von infizierten aber symptomlosen Menschen leisten.
Ergänzt werden diese Maßnahmen durch eine digitale Unterstützung der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter.
Zusammen mit weiteren Bundesländern verhandelt die Landesregierung derzeit eine Rahmenvereinbarung, auf deren Grundlage ab Anfang April eine entsprechende App kostenlos für Gesundheitsämter, Einrichtungen und Unternehmen und für Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung gestellt wird.“
26.03.2021
Artikel-Informationen
Ansprechpartner/in:
Anne Hage