Hebammen und werdende Mütter in Not - Selbstbestimmte Geburt in Gefahr?
Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage
Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Elke Twesten (Grüne) geantwortet.
Die Abgeordnete Elke Twesten (Grüne) hatte gefragt:
Am 25. September 2015 hat die Schiedsstelle entschieden, verbindliche Ausschlusskriterien bei der Geburtshilfe festzulegen. Dazu zählt auch die neue Bestimmung bei Überschreiten des Geburtstermins um drei Tage. Da sich in der Praxis herausgestellt hat, dass bei mehr als 40 % der werdenden Mütter der Geburtstermin um drei Tage überschritten wird, bedeutet dies, dass weit mehr als ein Drittel der Geburten künftig unter die Ausschlusskriterien fallen würde. In solchen Fällen dürfen in Zukunft nicht mehr eine Hebamme und die werdende Mutter, sondern darf ausschließlich eine Ärztin/ein Arzt entscheiden, wo eine Frau ihr Kind zur Welt bringt. Der Deutsche Hebammenverband kritisiert, dass Frauen entgegen den gesetzlichen Regelungen „keine selbstbestimmte freie Wahl des Geburtsortes mehr“ haben und dass die Entscheidung ein „schwerer Einschnitt in das Berufsrecht der Hebammen“ sei (Pressemitteilung Deutscher Hebammenverband vom 25. September 2015). Medienberichten zufolge wird an einem der wichtigsten Pfeiler der Geburtshilfe und ältesten Frauenberufe der Welt „gewaltig“ gewackelt, da dieser damit „in Deutschland Stück für Stück ausradiert“ und „wegrationalisiert“ würde. Dabei gehe es längst nicht mehr „nur um überteuerte Haftpflichtversicherungen, sondern auch um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen“ (n-tv 21. Oktober 2015).
Schon vor einigen Jahren belegte eine Studie, dass Deutschland bei der Nachfrage nach Hebammen und ihren Leistungen zunehmend an einer Unterversorgung leidet (Gutachten des IGES Instituts zur Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe aus 2012). Darunter fallen nicht nur das abnehmende Angebot der freien Geburtshilfe an sich, sondern zunehmend auch die Vorsorge und die Wochenbettbetreuung. Der Mangel ist deutlich und vor allem in ländlichen Regionen spürbar: Auf der „Landkarte der Unterversorgung“ sammelt der Deutsche Hebammenverband eindrückliche Fälle, in denen Frauen keinen Erfolg hatten, eine Hebamme zu finden.
1. Wie bewertet die Landesregierung die nun geltende Ausschlusskriterienregelung und deren Auswirkung auf die Geburtshilfe in Niedersachsen, wenn zu erwarten ist, dass bei mehr als 40 % der Entbindungen künftig nicht mehr die werdende Mutter und ihre Hebamme entscheiden, wo das Baby zur Welt kommt, sondern eine Ärztin/ein Arzt?
2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung vor, wonach Hebammen und Mütter in der Vergangenheit nach Überschreitung des Geburtstermins um drei Tage beim Geburtsort Fehlentscheidungen getroffen haben sollen, die zu nachweisbaren Komplikationen führten, wodurch der „schwere Einschnitt in das Berufsrecht der Hebammen“ und in das bisherige Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mütter begründet werden könnte?
3. Bringt sich die Landesregierung beim Bund und auf Landesebene jetzt und in Zukunft ein, um den Rückgang von Geburtskliniken und Hebammen in Niedersachsen zu stoppen und gleichzeitig die natürliche Geburt im System wieder zu stärken und sie finanziell besser zu stellen als Kaiserschnitte, gegebenenfalls in welcher Weise?
Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
Die Versorgung mit Hebammenhilfe regelt das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bundeseinheitlich. Nach § 134a SGB V wird die konkrete Ausgestaltung der Versorgung mit Hebammenhilfe durch einen Vertrag zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Berufsverbänden der Hebammen und den Verbänden der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene festgelegt. Die Vertragspartner haben dabei den Bedarf der Versicherten an Hebammenhilfe unter Einbeziehung der Wahlfreiheit der Versicherten und der Versorgungsqualität, den Grundsatz der Beitragssatzstabilität sowie die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der freiberuflich tätigen Hebammen zu berücksichtigen; insbesondere sind Kostensteigerungen, die die Berufsausübung betreffen, zu beachten. Kommt ein Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe ganz oder teilweise nicht zustande, wird der Vertragsinhalt durch eine Schiedsstelle festgesetzt. Näheres zur Bildung der Schiedsstelle regelt § 134a Abs. 4 SGB V. Einflussmöglichkeiten der Landesregierung bestehen insoweit nicht.
Zu 1.:
Ausschlusskriterien gelten bereits seit 2008 für Geburten in Geburtshäusern. Eine Hausgeburt wäre nach den neuen Ausschlusskriterien nicht automatisch bereits dann ausgeschlossen, wenn der geplante Entbindungstermin überschritten ist. Vielmehr ist in solchen Fällen im Interesse der Gesundheit von Mutter und Kind lediglich eine zusätzliche Abklärung durch Diagnostik und ein fachärztliches Konsilium vorgesehen, um eine Geburt im häuslichen Umfeld weiterhin zu ermöglichen. Genau diese Regelung findet sich als Standard in den Ausschlusskriterien für Geburten in Geburtshäusern und wird dort seit 2008 problemlos angewendet. Hierin sieht die Landesregierung keine unangemessene Bevormundung von Schwangeren und Hebammen.
Der Landesregierung ist die Kritik des Deutschen Hebammenverbandes bekannt: Der Verband beanstandet die Regelungen der Schiedsstelle, weil dann ohne ärztliche Zustimmung zur Hausgeburt bei sogenannten relativen Ausschlusskriterien sowie immer bei absoluten Ausschlusskriterien eine Hebamme, die eine Hausgeburt durchführt, gegen den Vertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen verstoße. In der Folge könne sie vom Vertrag ausgeschlossen werden. Gesetzlich versicherte Frauen erhielten damit in diesen Fällen keine Hebammenbetreuung auf Kosten der Krankenkasse. Auch haftungsrechtlich seien die Konsequenzen weitreichend – eine Hausgeburt durchzuführen würde dann in den meisten Fällen als grob fahrlässiges Verhalten der Hebamme gewertet werden können. Der Verband geht weiter davon aus, dass die meisten Ärztinnen und Ärzte allein aus Furcht vor haftungsrechtlichen Folgen zukünftig keine Zustimmung zur Hausgeburt geben würden. Eine durch medizinische Kriterien unterlegte Risikoabschätzung wird seitens der Landesregierung als sinnvoll erachtet und sollte demnach auch vorgenommen werden.
Zu 2.:
Hierzu liegen der Niedersächsischen Landesregierung keine Erkenntnisse vor.
Zu 3.:
Die Landesregierung ist auf Bundesebene bereits 2014 tätig geworden. Auf Initiative der Niedersächsischen Sozialministerin hat die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen der Länder (GFMK) im Oktober 2014 einen Beschluss gefasst, wonach die auch in Deutschland stark gestiegene Kaiserschnittrate kritisch zu hinterfragen ist. Gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium, dem GKV-Spitzenverband und weiteren Akteuren wurde insbesondere angemahnt, Fehlanreize zu Lasten einer natürlichen Geburt zu verhindern, die Haftpflichtproblematik aufzugreifen, sich für die angemessene Vergütung der natürlichen Geburt einzusetzen und die Wahlfreiheit für Frauen, im Krankenhaus, in einem Geburtshaus oder zu Hause zu gebären, zu achten.
In Niedersachsen werden seit 2014 in gemeinsamer Arbeit mit dem Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ) der Ärztekammer Niedersachsen, dem Berufsverband der Frauenärzte, der Arbeitsgemeinschaft Hebammenwissenschaft der Medizinischen Hochschule Hannover, dem Hebammenverband und weiteren wichtigen Institutionen verschiedene Maßnahmen entwickelt, um Frauen mit neutralen Informationen zu ermutigen, das Kind auf natürlichem Weg zur Welt zu bringen. Im November 2015 hat unter Federführung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung eine Veranstaltung mit drei Geburtskliniken, Hebammen und niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen in der Region Leer und Papenburg stattgefunden. Ziel ist eine verstetigte berufs- und institutionsübergreifende Zusammenarbeit um die natürliche Geburt zu stärken. (s.a. Unterrichtung des Landtages „Natürliches Geburt stärken und fördern“ Drs. 17/4019).