Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage „Was ist zu tun, wenn der Integrationswille von Anfang an fehlt?“
Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Petra Joumaah (CDU) geantwortet.
Die Abgeordnete Petra Joumaah (CDU) hatte gefragt:
In einem am 9. Januar 2014 in der Neuen Osnabrücker Zeitung erschienenen Interview wird Ministerpräsident Weil im Zusammenhang mit der Zuwanderungsdebatte wie folgt zitiert: „Was aber dringend in den Griff bekommen werden muss, ist ein Phänomen in Großstädten wie etwa Hannover: nämlich die Folgen einer gezielten Zuwanderung einzelner Gruppen, die von Anfang an nicht integrationswillig sind.“
Noch am 5. Dezember 2013 erklärte Ministerpräsident Weil den Begriff der Integration für überholt. Statt eine „Anpassungsleistung“ in den Vordergrund zu stellen, müsse vielmehr zugewanderten Menschen auf allen Ebenen die volle Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben gewährt werden.
Ich frage die Landesregierung:
- Welche einzelnen Gruppen meint der Ministerpräsident, und wie äußert sich bei ihnen der von Anfang an nicht vorhandene Integrationswille?
- Wie können nicht integrationswillige Gruppen auf allen Ebenen am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben, wenn von ihnen keine „Anpassungsleistung“ erwartet und gezeigt wird?
- Wie möchte die Landesregierung in den niedersächsischen Großstädten die Folgen einer gezielten Zuwanderung dieser einzelnen von Anfang an nicht integrationswilligen Gruppen in den Griff bekommen?
Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
Niedersachsen ist ein weltoffenes Land mit einer langen Einwanderungsgeschichte. Menschen unterschiedlicher Herkunft mit ihren ganz persönlichen Erfahrungen und Potenzialen bilden das Fundament für die zukünftige kulturelle, wirtschaftliche, demografische und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes. Die Niedersächsische Landesregierung lehnt daher eine Trennung in „wir“ und „ihr“ grundsätzlich ab.
Die Landesregierung hat sich vorgenommen, sich von dem überkommenen Begriff der Integration zu verabschieden. Den Prozess des Zusammenwachsens von Zuwanderern und Einheimischen versteht sie stattdessen als umfassende Teilhabe und Partizipation (passive und aktive Teilhabe). Bislang sind mit dem Begriff der Integration nahezu ausschließlich Negativbeschreibungen und einseitige zu erbringende Anpassungsleistungen verbunden. Es werden die „verweigerte“, „misslungene“, die „verpasste“ oder gar die „unmögliche“ Integration in Mittelpunkt der Zuwanderungsdebatte gestellt.
Menschen, die nach Niedersachsen zuzogen oder auch hier geboren sind, deren Eltern bzw. Großeltern aber nach Niedersachsen zuwanderten, betrachtet die Landesregierung als Niedersachsens Bürger und Bürgerinnen. Sie sprechen selbstverständlich gut Deutsch, denn sie sind hier geboren, haben ihre Schulausbildung oder auch ihr Studium in Niedersachsen abgeschlossen, haben hier ihre sicheren Arbeitsplätze oder führen hier ihre Unternehmen. Die Landesregierung setzt auf ein völlig selbstverständliches und in soweit auch normales System von Teilhabe und Partizipation. Sie sieht rechtlich fundierte Gleichstellungen und auch praktische Verfahren, die zur solidarisch gebotenen Chancengleichheit führen als erforderlich, geeignet und auch als nachhaltig an.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
zu 1.:
Der Ministerpräsident wurde in dem zitierten Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung zu seiner Position hinsichtlich der Zuwanderung von Migranten, die im Rahmen der EU-Freizügigkeit nach Deutschland kommen, befragt.
Am Beispiel von qualifizierten Fachkräften, die nun von der ihnen durch den EU-Vertrag garantierten Freizügigkeit Gebrauch machen, hat der Ministerpräsident auf die positiven Aspekte einer Zuwanderung von gut ausgebildeten und studierten Menschen und den Nutzen für unser Land hingewiesen. Diese Menschen sind eine Bereicherung für unser Land und leisten ihren wirtschaftlichen und sozialen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland.
Vor dem Hintergrund der sozialen Situation in ihren Herkunftsländern bringt lediglich eine sehr geringe Anzahl der nun zuwandernden Menschen nicht die kulturelle, schulische und berufliche Grundlage mit, die ihnen eine umgehende chancengerechte Teilhabe in Deutschland ermöglicht. Aufgrund ihrer mitunter negativen Erfahrungen mit staatlichen Stellen sowie Diskriminierungserfahrungen in den Herkunftsländern können sie den vielfältigen staatlichen Förderangeboten in ihrem neuen Lebensumfeld zurückhaltend, skeptisch bzw. ablehnend gegenüber stehen.
zu 2.:
Menschen, die aufgrund erlebter Diskriminierung und Bedrohung bisher in einem eher abgeschotteten Lebensumfeld gelebt haben, müssen Zug um Zug Vertrauen in das hiesige recht- und sozialstaatliche System gewinnen. Auch hier gilt es, nicht durch einseitige Anpassung, sondern durch beidseitiges Aufeinanderzugehen Teilhabe und ein gedeihliches Zusammenleben zu ermöglichen. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung benötigen sie umfänglichere Unterstützung und Beratung. Hierzu zählen niedrigschwellige Angebote zur Sprachförderung, Gesundheitsvorsorge und beruflichen Chancenentwicklung. Die Landesregierung sieht hier ein wichtiges Aktionsfeld für kulturell erfahrene Integrationslotsen und -lotsinnen aus den gleichen Herkunftsländern, die zu den Betroffenen leichter Zugang und deren Vertrauen gewinnen können. Ziel ist es, diesen Menschen bedarfsgerecht die Förderungen zu ermöglichen, die sie für ein chancengerechtes Leben in unserer Gesellschaft benötigen. Hierzu stehen ihnen wie anderen Zuwanderern bzw. Zuwanderinnen auch die vielfältigen Beratungs- und Bildungsangebote des Bundes, des Landes und der Kommunen offen.
zu 3.:
Das Land setzt sich auf der Bundesebene für eine Unterstützung solcher Kommunen ein, die sich durch die Zuwanderung von sozial benachteiligten und kulturell sowie sozial sich abschottenden Menschen besonderen Herausforderungen stellen müssen. Hierzu zählt eine Verbesserung der Integrationskursangebote, aber auch eine deutlich bessere und bedarfsgerechtere Ausstattung der finanziellen Mittel des Programms „Soziale Stadt“. Durch die unmittelbar bevorstehende Einrichtung der von der Landesregierung finanzierten Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe werden in Niedersachsen 48 lokale Handlungsräume in kommunaler Verantwortung geschaffen, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse die Teilhabe der nach Niedersachsen zugewanderten Menschen mit ihnen gestalten werden. Zu ihren Aufgaben gehört auch die zeitnahe Analyse und Lösung der identifizierten Migrationsfolgen.
Darüber hinaus versprechen die Zusammenarbeit mit entsprechenden Migrantenorganisationen sowie der Einsatz von Lotsen und Lotsinnen mit ähnlichem kulturellen Hintergrund Erfolge im Umgang mit Communities oder Teilen von ihnen, die sich bisher noch nicht ausreichend einem teilhabeorientierten Zusammenleben geöffnet haben.
In Niedersachsen wird Zuwanderung als Prozess verstanden. Im Zuge eines solchen Prozesses verändern sich auch die ersten Annahmen sowie Bewertungen der Betroffenen und ihre Urteile zu Verfahren und Bedingungen der Zuwanderung werden realitätstüchtiger. Dort wo Skepsis und Ablehnung auftreten, muss es den beteiligten Akteuren und Akteurinnen vor Ort gelingen, Vorbehalte aufzulösen. Die Landeshauptstadt Hannover hat in diesem Zusammenhang ein umfassendes Konzept entwickelt und bereits erkennbare Erfolge erzielt. Das Land unterstützt dabei die betroffenen Kommunen im Rahmen bestehender Programme.
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.01.2014
Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger