Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage: Häusliche Gewalt gegen Frauen
Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Elke Twesten (Grüne) geantwortet.
Die Abgeordnete Elke Twesten (Grüne) hatte gefragt:
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein schwerwiegendes Problem unserer Gesellschaft und tritt innerhalb der eigenen vier Wände in allen sozialen Schichten auf, ist unabhängig von sozialem Status, ethnischem Hintergrund, von Bildung und Alter. Mittlerweile jede vierte Frau hat in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner erfahren, einer Untersuchung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahre 2014 zufolge ist in den Staaten der Europäischen Union jede dritte Frau schon einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die in allen EU-Mitgliedstaaten anzutreffen ist. Über viele Jahre ist die Gewalt gegen Frauen auch in Niedersachsen gestiegen. Häusliche Gewalt hat viele Gesichter mit entsprechend vielfältigen negativen Folgen - im schlimmsten Fall endet sie mit dem Tod.
1. Welche Kenntnisse und statistischen Angaben besitzt die Landesregierung darüber, wie viele Frauen in Niedersachsen in den Jahren 2010, 2015 und 2016 Opfer häuslicher Gewalt in Niedersachsen geworden sind - sowohl im Hell- als auch im Dunkelfeld?
2. Wie viele Frauen bzw. Mädchen haben in den Jahren 2010, 2015 und 2016 die Hilfe eines Frauen- bzw. eines Mädchenhauses bzw. einer Beratungsstelle beansprucht?
3. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung darüber, wie viele Frauen aufgrund häuslicher Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner in den Jahren 2010, 2015 und 2016 getötet wurden?
Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
Nach o.g. Studie liegt die Gewaltbetroffenheit von in Deutschland lebenden Frauen im
europäischen Vergleich leicht über dem Durchschnitt. 35% der deutschen Frauen haben
körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Partner oder eine andere Person seit ihrem 15.
Lebensjahr erfahren. Im Europäischen Durchschnitt sind es 33%. Die Daten für Niedersachsen
entsprechen im Wesentlichen der bundes- und europaweiten Situation. Häusliche Gewalt ist
somit auch in Niedersachsen ein schwerwiegendes Problem.
Zu 1.:
Die Berichterstattung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport sowie der
Polizeibehörden im Zusammenhang mit der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung basiert
grundsätzlich auf den validen Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS).
Die PKS ist eine Ausgangsstatistik, das heißt, eine Straftat wird erst nach Abschluss der
polizeilichen Ermittlungen bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht erfasst, so
dass zwischen Tatzeit und PKS-Erfassung mehrere Monate liegen können. Die entsprechenden
Fallzahlen werden bekanntermaßen erst am Jahresende nach einer Prüfung festgeschrieben. Bis
zu diesem Zeitpunkt können die gemeldeten Fälle durch aktuelle Erkenntnisse Veränderungen
unterliegen.
Insgesamt betrachtet sind unterjährige PKS-Fallzahlenveröffentlichungen anfällig für
Fehlinterpretationen und nicht geeignet, die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung darzustellen.
Kurzfristige Veränderungen sind regelmäßig nicht interpretierbar, weil unklar ist, ob ihnen
Besonderheiten zugrunde liegen.
Erst bei Vorliegen der festgeschriebenen PKS-Jahreszahlen können konkrete Interpretationen
vorgenommen und fundierte inhaltliche Aussagen getroffen werden.
Auch vor diesem Hintergrund hat sich die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder (IMK) im Jahr 2002 darauf verständigt, es bei einer jährlichen PKS-Veröffentlichung
zu belassen.
Zusammenfassend ist letztendlich festzustellen, dass die PKS-Daten des aktuellen
Berichtsjahres 2016 vorläufige, unfertige Daten und auch nur scheinbar aktuell sind. Eine
Vergleichbarkeit mit den Daten des Jahres 2015 ist nur eingeschränkt möglich und unter
statistischen Gesichtspunkten problematisch.
Darüber hinaus wird auf die Anmerkungen des Ministeriums für Inneres und Sport zur Dringlichen Anfrage der CDU im November-Plenum 2016, Drs. 17/6935, verwiesen.
Ausweislich der PKS wurden im Kontext „Häuslicher Gewalt“ die folgenden Opferzahlen polizeilich registriert:
2010 |
2015 |
2016 (Stichtag: 22.11.16) |
|
Opfer insgesamt |
14.069 |
15.355 |
13.729 |
männlich |
3.349 |
3.857 |
3.276 |
weiblich |
10.720 |
11.498 |
10.417 |
(Tabelle 1: Opfer im Kontext „Häuslicher Gewalt“ für die Jahre 2010, 2015 und 2016
(Stichtag: 22.11.16)
Eine der Fragestellung entsprechende Aufschlüsselung der Daten aus dem Dunkelfeld der Häuslichen Gewalt ist nicht möglich.
Allerdings hat Niedersachsen 2013 als erstes Bundesland in Deutschland mit der Durchführung periodischer Opferbefragungen als Ergänzung zur jährlich erstellten Polizeilichen Kriminalstatistik begonnen, um so eine weitere Erkenntnisquelle zur Kriminalität im Land zu generieren. Alle zwei Jahre werden 40.000 zufällig ausgewählte Einwohnerinnen und Einwohner Niedersachsens im Alter ab 16 Jahren zu Themen wie Kriminalitätserfahrungen und -furcht oder der Bewertung der Polizei und deren Arbeit befragt.
Bezugszeitraum war jeweils das vor der Befragung liegende Kalenderjahr: also 2012 für die erste Befragung im März 2013 und 2014 für die zweite Befragung im Frühjahr 2015. Von den 40.000 angeschriebenen Personen nahmen im Jahr 2015 insgesamt 20.468 Personen an der Befragung teil, was einer Teilnahmequote von 51,17% entspricht. Die Bereitschaft zur Teilnahme hat sich gegenüber der ersten Befragung nochmals erhöht (damals 47,4%). Dies führt dazu, dass die Ergebnisse repräsentativ sind, sowohl allgemein als auch bezogen auf die jeweiligen Gruppen (Alter und Geschlecht).
Bezogen auf Körperverletzungen durch (Ex-)Partner kann festgestellt werden, dass die Viktimisierungsrate gegenüber der ersten Befragung gleich geblieben ist, d. h. 0,5% aller Befragten gaben in den beiden Befragungen 2013 und 2015 an, Opfer geworden zu sein.
Erfreulich hat sich die Anzeigenquote entwickelt. Diese ist bei Körperverletzungen, die von (Ex-) Partnern begangen wurden, von 11,6 Prozent auf 14,6 Prozent angestiegen. Diese Steigerung der Anzeigebereitschaft bei häuslicher Gewalt verläuft entgegen dem Trend bei den Körperverletzungsdelikten insgesamt, denn hier sank die Anzeigebereitschaft von 24,1 Prozent auf 22,1 Prozent. Auch bei Drohungen durch (Ex-)Partner hat sich die Anzeigenquote von 9,3 Prozent auf 10,1 Prozent erhöht.
Die Vermutung, dass der Anstieg der Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik auf eine Dunkelfeldaufhellung zurückgeführt werden kann, ist also begründet.
Diese aus Sicht der Landesregierung erfreuliche Entwicklung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Anzeigenquote bei Partnergewalt insgesamt immer noch auf einem zu niedrigen Niveau befindet und mit Präventions- und Aufklärungsarbeit nicht nachgelassen werden sollte.
Zu 2.:
Die Anzahl der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen, die in den
Einrichtungen Hilfe suchen, ist kontinuierlich auf hohem Niveau. Wesentliches Instrument zum Schutz von Frauen vor Gewalt ist die Förderung von Frauenhäusern, Gewaltberatungsstellen sowie Beratungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt (BISS). Die Förderung erfolgt auf Grundlage der „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind“. Im Rahmen des Zuwendungsverfahrens werden jährliche Statistiken erhoben, die jedoch regelmäßig erst im Mai/Juni des Folgejahres vorliegen. Die Zahlen für 2016 liegen somit noch nicht vor.
In den 41 vom Land geförderten Frauenhäusern suchen jährlich durchschnittlich rund 2.200 Frauen mit etwa 2.000 Kindern Schutz und Unterstützung. Daneben wurden jährlich durchschnittlich 8.000 Frauen ambulant oder während ihres Aufenthaltes im Frauenhaus psychosozial beraten.
Die Zahl der beratenen Frauen in den 38 vom Land geförderten Gewaltberatungsstellen und Notrufen beträgt durchschnittlich rund 8.750 (Beratungsfälle pro Jahr). Insgesamt sind die Zahlen leicht rückläufig, wobei jedoch der Beratungsaufwand je Fall steigt. Durch die multiplen Problemlagen vieler Betroffener werden die Beratungen insgesamt aufwändiger und nehmen mehr Zeit in Anspruch.
Die 29 BISS beraten jährlich durchschnittlich rd. 15.790 Frauen. Bei den BISS steigt die Anzahl der jährlich Betroffenen erheblich: Von 11.152 in 2007 auf 13.865 Betroffene im Jahr 2010, d.h. eine Zunahme von 24,3 %. Und auch in den folgenden Jahren erhöhte sie sich bis 2015 nochmals um weitere 18,4% auf zuletzt rund 16.400.
Frauenhäuser |
Gewaltberatungsstellen |
BISS |
||
Frauen |
Kinder |
|||
2010 |
2.256 |
2.103 |
12.334 |
13.865 |
2015 |
2.086 |
1.848 |
8.574 |
16.410 |
Bei den Mädchenhäusern handelt es sich um ein niedrigschwelliges mädchenspezifisches Angebot. Ihre Arbeit dient der Prävention und Hilfe auch für Mädchen, die von Gewalt betroffen sind. Die Angebote der Mädchenhäuser orientieren sich an den Bedürfnissen der Mädchen und ermöglichen eine Stärkung der Mädchen in ihren individuellen Lebenssituationen. Statistische Zahlen zur Inanspruchnahme der Mädchenhäuser durch von Gewalt betroffene Mädchen liegen nicht vor. Den Sachberichten ist jedoch zu entnehmen, dass ca. 12 % der Beratungsgespräche das Thema Gewalt betreffen. Beratungszahlen und Inanspruchnahmen der Frauenhäuser für 2016 liegen erst im Mai 2017 vor.
Zu 3.:
Im Jahr 2010 wurden sieben vollendete Tötungsdelikte im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt polizeilich registriert. Opfer waren immer der Partnerin oder Partner bzw. Ex- Partnerin oder Ex-Partner. Aufgrund der Erfassungssystematik der PKS 2010 lässt sich das Geschlecht der Opfer nicht mehr ermitteln.
Im Jahr 2015 wurden sieben durch ihren Partner oder ehemaligen Partner getötete Frauen im Kontext häuslicher Gewalt polizeilich registriert. Im Jahr 2016 (Stichtag: 23.11.2016) wurden neun durch ihren Partner oder ehemaligen Partner getötete Frauen im Kontext häuslicher Gewalt polizeilich registriert.