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„NIEMAND darf benachteiligt werden“

Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, erinnert an 25 Jahre Grundrechte-Ergänzung „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ und begrüßt heute die „Reisegruppe Niemand“ auf dem Hauptbahnhof der Landeshauptstadt Hannover bei deren Durchreise.

Die „Reisegruppe Niemand“ wagt ein wahres Weltrekordprojekt. Fünf Menschen, die bei der Deutschen Bahn als „PRM“ (Personen mit reduzierter Mobilität) bezeichnet werden, fahren seit Montag quer durch die Bundesrepublik. Auf dem Weg von und nach Berlin werden sie 348 Zwischenhalte, 28 Bahnhöfe, 29 Umstiege, 16 Landeshauptstädte bereisen. Sie haben ein ambitioniertes Ziel: Sie wollen auf die häufig fehlende Barrierefreiheit an deutschen Bahnhöfen aufmerksam machen.

Die Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, wird die Reisegruppe auf dem Hauptbahnhof treffen. „Mobilität ist eines der ganz wichtigen Themen, wenn es um Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht.“ Wontorra führt aus „Die Mobilitätskette beginnt spätestens beim Verlassen des Hauses. Aufzüge, die nicht funktionieren, Ansagen über Gleisverlegungen, die schwerhörige Menschen nicht erfassen können oder fehlende Leitstreifen für sehbeeinträchtige Menschen beim Zugang zum Gleis und den Zügen sind Barrieren, mit denen Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen jeden Tag kämpfen.“

Noch immer müssen Menschen, die mit Rollstuhl mit dem IC oder ICE reisen wollen, 24 Stunden werktags vor Abfahrt ihre Fahrt anmelden. Und wenn der Mobilitätsservice überlastet ist oder die beiden Rollstuhlplätze reserviert sind, kann eine Fahrt nicht stattfinden. „Auch zum Treffen der Beauftragten aus Bund und Ländern nächste Woche in Bayern kann ich die präferierte Zugverbindung nicht nutzen, weil eine Umstiegszeit mit sieben Minuten zu kurz ist, die Rollstuhlplätze belegt sind und das Zielgleis nicht barrierefrei ist“, beklagt Wontorra und hofft, dass die „Reisegruppe Niemand“ hürdenfrei ihren Zielort erreicht.

Vor genau 25 Jahren trat im Artikel 3, Abs. 3 „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ mit Satz 2 „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ eine sehr wichtige Änderung des Grundgesetzes in Kraft.

Ende Juni 1994 ergänzten die Mitglieder des Bundestages den Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes um den entscheidenden Satz 2: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Wontorra erläutert „Damit wurde erstmalig die besondere Situation von Menschen mit Behinderungen in den Blick genommen. Ihnen soll ein eindeutiger Schutz vor Diskriminierung gewährt werden. Die Forderung erwuchs von den Menschen mit Behinderungen selbst, sie forderten und fordern die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstvertretung ein.“ Menschen mit Behinderungen haben seither auf der Grundlage des Grundgesetzes einklagbare Ansprüche erworben. Die Änderung des Grundgesetzes ist Basis vieler Gesetze. Dazu zählen das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), Behindertengleichstellungsgesetze auf Bundes- und Länderebene, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und nicht zuletzt die Ratifizierung – das Anerkennen – der UN-Behindertenrechtskonvention. Wontorra „Das Benachteiligungsverbot kann nicht hoch genug bewertet werden. In diese Aufzählung reihen sich auch – zumindest teilweise – das Bundesteilhabegesetz und weitere Gesetzesnovellierungen auf Bundes- und Länderebene ein.

„Doch was kommt bei den Menschen an?“, fragt die Landesbeauftragte und betont „25 Jahre nach Inkrafttreten der Grundgesetzergänzung werden Menschen mit Behinderungen faktisch noch immer in vielen gesellschaftlichen Bereichen und in nahezu allen Lebensbereichen alltäglich diskriminiert.“ Im Arbeitsleben sind Menschen mit Behinderungen länger und öfter arbeitslos als der Durchschnitt. Bei der ärztlichen Versorgung kommen neben baulichen Barrieren noch weitere dazu: oft fehlt es an der notwendigen Zeit oder der angemessen Erläuterung. Kinos, Theater, Geschäfte und Gaststätten, aber auch öffentliche Gebäude sind oft nicht zugängig. Feuerschutztüren können beispielsweise in Hotels statt zu einer Gefahrenabwehr zu einer Gefahrenquelle werden, wenn die eigenen Kräfte nicht ausreichen, bei Gefahr eine Brandschutztür zu öffnen. Passenden und bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist besonders für Menschen mit Behinderungen eine sehr große Herausforderung. Lebenslanges Lernen ist auch für Menschen mit Behinderungen ein Schlüssel für bessere Teilhabe und doch gibt es hier zu wenig Zugänge und gute Umsetzung.

Öffentliche Verkehrsmittel sind nach wie vor häufig für Menschen mit körperlichen oder Sinneseinschränkungen sowie von Menschen mit seelischen und psychischen Erkrankungen oder Lernschwierigkeiten nicht vollumfänglich nutzbar.

Wontorra beklagt „Es kann doch nicht sein, dass die Deutsche Bahn Regio AG gerade erst 18 Doppelstocktriebzüge zum Preis von 220 Millionen Euro bestellt hat, die nicht barrierefrei sind“, und hofft „mögen die Erfahrungen und die Gespräche der Reisegruppe Niemand bei den Verantwortlichen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bei künftigen Entscheidungen Gehör finden“.

Information: Die „Reisegruppe Niemand“ berichtet live in einem Blog über die Tour:
https://kobinet-nachrichten.org/foren/blog-reisegruppe-niemand/

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erstellt am:
14.11.2019

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