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Beschleunigt Corona die Armutsentwicklung in Niedersachsen?

Antwort der Landesregierung auf die Dringliche Anfrage


Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens hat namens der Landesregierung auf eine Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD geantwortet.

Die Abgeordneten der Fraktion der SPD hatten gefragt:

Schon vor der weltweiten Corona-Pandemie gab es soziale und gesellschaftliche Ungleichheiten. Laut der Bertelsmann-Studie vom 22. Juli 2020 ist in Deutschland jedes fünfte Kind arm oder von Armut bedroht. Insgesamt geht die Studie davon aus, dass 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Armut bedroht bzw. bereits davon betroffen sind. Die Chancen dieser Kinder auf gesellschaftliche Teilhabe und Aufstieg durch Bildung haben sich durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie deutlich verschlechtert.

Auch die Situation von Abhängigkeitserkrankten ist coronabedingt kritisch. Therapeutische Angebote mussten eingeschränkt werden. Es wird erwartet, dass hier vermehrt neue Problemlagen auftreten, die einer nachhaltigen Lösung bedürfen.

Schließlich hat sich die Situation von Wohnungslosen während der Corona-Pandemie verschärft. Notunterkünfte, in denen oftmals immer noch bis zu 70 Personen in einem Raum untergebracht sind, fehlende Versorgungsinfrastruktur und aufgrund von Hygienevorschriften weniger Kapazitäten bei niedrigschwelligen Angeboten sind nur drei Punkte, die verdeutlichen, was es bedeutet, wohnungslos zu sein.

Ministerin Daniela Behrens beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

̶ Es gilt das gesprochene Wort ̶

„Die Armutsbekämpfung ist und bleibt eine große sozialpolitische Herausforderung. Obwohl Deutschland ein reiches Land ist, gibt es immer noch Menschen, die in Armut leben müssen. Das gilt auch für Niedersachsen: Im Jahr 2019 waren rund 1,26 Millionen Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote lag bei 16 % und damit einen Prozentpunkt über dem Vorjahreswert.

Durch die Corona-Pandemie ist zu befürchten, dass sich Armut und soziale Spaltung unserer Gesellschaft noch verstärken. Wie das Statistische Bundesamt unlängst festgestellt hat, kämpfen neben den Selbständigen besonders Menschen mit niedrigem Einkommen, Geringqualifizierte und Alleinerziehende mit finanziellen Schwierigkeiten.

Wenn man die Berichte aus der Armuts- sowie Wirtschaftsforschung dazu nimmt, ergibt sich ein Bild, das uns alle Sorgen muss. Wir haben zwar eine relative Stabilität auf dem Arbeitsmarkt. Das Hilfsmittel der Kurzarbeit hat viele Härten abgefedert. Aber eben längst nicht alle: Diejenigen, die in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind, sind häufig Menschen, die auch vor Corona eher geringe Einnahmen hatten und in guten Zeiten immerhin als ungelernte Kräfte in der Gastronomie, im Handel, im Messe-Aufbau ein Auskommen gefunden haben.

So haben wir einen starken Rückgang bei den Minijobbern. In Deutschland stehen rund 850.000 Minijobber inzwischen ohne Einkommen da. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf Familien und Alleinerziehende. Ganz besondere Sorge bereiten mir die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder – gerade auch aus einkommensschwachen Familien – sowie auf Menschen, die mit besonderen sozialen Problemlagen zu kämpfen haben. Bund, Länder und Kommunen – alle Ebenen sind also gefragt, genau hinzusehen und die notwendigen Hilfen bereitzustellen.


Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:

1. Wie kann der Leistungsumfang des Bildungs- und Teilhabepakets einschließlich des Verfahrens zur Beantragung von Leistungen so ausgestattet werden, dass mehr Kinder davon profitieren können, insbesondere um durch Sachleistungen das ausfallende warme Mittagessen zu kompensieren und um die Teilhabemöglichkeiten bei Sportvereinen, Musikvereinen etc. zum Auf- und Ausbau sozialer Kontakte aus allen gesellschaftlichen Bereichen zu verbessen?

Die Ausgestaltung der Bundes- und Teilhabeleistungen ist Sache des Bundesgesetzgebers.
Aufgrund der aktuellen Corona-Situation hat der Bund bereits zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht:

Exemplarisch nenne ich die Regelungen der Sozialschutz-Pakete, die einen vereinfachten Zugang zu den existenzsichernden Leistungen gewährleisten. Ziel ist es, denen, die Unterstützung brauchen, und ihren Familien schnell und unbürokratisch zu helfen. Damit erhalten die Kinder auch einen erleichterten Zugang zu den Leistungen für Bildung und Teilhabe. Darüber hinaus sind im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes die Voraussetzungen für das gemeinschaftliche Mittagessen angepasst worden.

Bislang erhielten die leistungsberechtigten Kinder eine kostenlose Mittagsverpflegung in Schulen, Kindertagesstätten und Einrichtungen der Kindertagespflege. Für die Dauer der Pandemie wird eine flexible Bereitstellung des Mittagessens ermöglicht, z. B. durch Lieferung nach Hause oder Abholung.

Eine weitere Erleichterung sieht unsere aktuelle Corona-Verordnung vor: Von den Kontaktbeschränkungen ausgenommen sind unter anderem außerschulische Lernfördergruppen. Damit haben wir Schülerinnen und Schülern mit Lernförderbedarf auch jetzt ermöglicht, in den Räumlichkeiten des Anbieters Förderleistungen in Anspruch zu nehmen.

Junge Menschen gehören zu den Personengruppen, die wir gerade in diesen schwierigen Zeiten besonders im Blick haben und ihnen im Rahmen der Infektionslage soziales Lernen, Austausch und Gestaltungsräume ermöglichen müssen.

Die Kinder- und Jugendarbeit ist unter den Pandemiebedingungen auch weiterhin möglich – natürlich unter Berücksichtigung der Infektionslage und der entsprechenden Regelungen.

Damit kann eine Vielzahl an Maßnahmen für junge Menschen in der Kinder- und Jugendarbeit auch während des Lockdowns stattfinden.

Ich möchte an dieser Stelle den Blick aber auch nach vorn richten – auf die Zeit nach der Pandemie:

Wichtig ist mir, dass wir perspektivisch mit der Einführung einer Kindergrundsicherung die Probleme überwinden, die sich beim Bildungs- und Teilhabepaket, aber auch darüber hinaus durch das Nebeneinander vieler verschiedener monetärer Leistungen für Familien ergeben.

2. Wie kann die Versorgung von Abhängigkeitskranken auch in Krisenzeiten sichergestellt werden, damit Behandlungen nicht abgebrochen oder stationäre Aufnahmen verhindert werden?

Als Gesundheitsministerin ist mir eine verlässliche Versorgung abhängigkeitserkrankter Menschen sehr wichtig. Mir ist sehr bewusst, dass die Versorgung dieser Menschen ein wichtiger Baustein ist – vor allem auch die niedrigschwelligen Angebote. Wir fördern im Rahmen der freiwilligen sozialen Leistungen niedersachsen-weit mit etwa 20-25 Prozent anteilig 75 Fachstellen für Sucht und Suchtprävention, die in Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege sind.

Die Suchtberatungsstellen haben in der Pandemie ihren Betrieb nicht geschlossen,

sondern halten ihre Hilfeangebote bei Einhaltung der notwendigen Schutz- und Hygienemaßnahmen aufrecht. Gerade auch niedrigschwellige Beratungsangebote – zum Beispiel Drogenkonsumräume und aufsuchende Hilfen – werden, so gut es geht, aufrechterhalten.

Ich bin sehr froh, dass die Fachkräfte viele kreative Lösungen entwickelt haben, um für ihre Klientinnen und Klienten erreichbar zu sein. Neben Beratungsspaziergängen erfolgt die Beratung auch telefonisch oder über andere digitale Kommunikationsmittel. Dazu gehören Video-Sprechstunden, E-Mail-Kontakte oder Chat-Angebote. Das war besonders zu Beginn der Pandemie nicht ganz einfach, denn viele dieser Kommunikationsformen mussten erst aufgebaut werden.

In den Beratungsstellen werden persönliche Gespräche geführt, natürlich unter Wahrung der Hygienestandards, und auch die aufsuchende Arbeit ist erhalten geblieben. Substitutionsbegleitung findet ebenfalls weiterhin statt, und in stationäre Rehabilitationen wird weitervermittelt. Insgesamt meldet die Mehrheit der Suchtberatungsstellen eine starke Auslastung, da der Bedarf an Suchtberatung und Therapie in der derzeitigen Situation eher zunimmt als rückläufig ist.

Wir alle wissen es: Die psychische Belastung in der Bevölkerung ist gestiegen. Dies betrifft auch und besonders Kinder und Jugendliche, die sich mit einem völlig neuen Alltag konfrontiert sehen. Aber auch die Eltern, die den Spagat zwischen Kinderbetreuung, Homeschooling und Arbeit bewältigen müssen. Und auch die Alleinstehenden jeden Alters, die sich aufgrund der Kontaktbeschränkungen einsam fühlen. Über allem schweben oftmals auch noch Existenzängste.

Gleichzeitig verfügen einige Fachstellen über weniger Personal, wenn die Fachkräfte zum Beispiel zu einer Risikogruppe gehören. Außerdem konnten die Gruppenangebote nicht in der früheren Form aufrechterhalten werden, so dass weniger Menschen erreicht werden.

Die Angst vor Ansteckung hat bei einigen Klientinnen und Klienten zu einem Behandlungsabbruch geführt.

Neu suchtgefährdete Personen hält es davon ab, Beratungssysteme überhaupt aufzusuchen. Dies kann natürlich zu Rückfällen oder gesteigertem Konsum führen.

Im Februar dieses Jahres hat mein Haus daher kurzfristig eine Online-Konferenz zum Thema „Corona und Sucht - Suchtprävention und Suchthilfe in Pandemiezeiten“ durchgeführt, die auf starkes Interesse gestoßen ist.

Die Konferenz hat den Teilnehmenden neben Informationen zur Digitalisierung in der Suchthilfe auch eine Austauschmöglichkeit für die Arbeit in verschiedenen Settings geboten.

Schwierig ist es nach wie vor für den präventiven Bereich der Suchthilfe, da z. B. die Präventionsarbeit in den Schulen fast komplett zum Erliegen gekommen ist. Hier fehlt dann natürlich die aufklärende Arbeit mit den Jugendlichen besonders im Bereich Medien, Alkohol und Cannabiskonsum.

Insgesamt ist langfristig mit steigenden Fallzahlen in den Fachstellen für Sucht und Suchtprävention zu rechnen, um die suchtrelevanten Folgen der Pandemie aufzufangen oder zumindest abfedern zu können.

3. Wie kann die basale Versorgung der Menschen ohne Unterkunft (z. B. durch Straßenambulanzen, Bereitstellung zusätzlicher Räumlichkeiten für Tagesaufenthalte, kurzfristige Unterbringung in leerstehenden Räumlichkeiten, Testung innovativer Konzepte wie Housing-First sowie Mahlzeiten und Zugang zu sanitären Anlagen) besser gewährleistet werden?

Menschen ohne Wohnung haben es in Zeiten der Pandemie besonders schwer. Um die Unterbringung wohnungsloser Menschen kümmern sich die Kommunen aufgrund ihrer Zuständigkeit nach dem Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz. Auch das Vorhalten von Straßenambulanzen ist eine kommunale Aufgabe im Bereich der allgemeinen Daseinsvorsorge. Wie sich am Beispiel der Landeshauptstadt Hannover in Zusammenarbeit mit der Caritas zeigt, nehmen die Kommunen sich dieser Aufgabe auch an.

Zudem gibt es beispielsweise in Osnabrück und Hannover Krankenwohnungen für Wohnungslose. Das Land unterstützt die Kommunen bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben im Rahmen der Hilfen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten.

Die Übernahme pandemiebedingter Sonderausgaben ist mir dabei besonders wichtig. Mein Haus arbeitet daran, eine entsprechende finanzielle Unterstützung möglichst schnell und unbürokratisch zu konzipieren.

Die Pandemie hat aber auch Neues ermöglicht: Eine kurzfristige Unterbringung in leerstehenden Räumlichkeiten. Das Land hat sich bereits ab dem vergangenen Frühjahr an der Unterbringung wohnungsloser Menschen in der Jugendherberge, einem Hotel und dem Naturfreundehaus in Hannover finanziell beteiligt. Daraus ist auch das gerade angelaufene Projekt „Plan B – Okay“ der Region Hannover in Kooperation mit der Landeshauptstadt Hannover entstanden, bei dem wir die Kosten für die Sozialarbeit übernehmen.

Auch sind in mehreren Städten für Wohnungslose Hotelzimmer zum Schutz vor der Pandemie und der Kälte angemietet worden. Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle das Housing First-Projekt der Stiftung „Ein Zuhause“, das seit Anfang dieses Jahres im Gebiet der Landeshauptstadt Hannover modellhaft für Niedersachsen getestet wird.

Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass wir zur Unterstützung der Wohnungslosen – auch schon vor Corona-Zeiten – mit unserem breit angelegten Konzept zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Menschen zahlreiche Initiativen ergriffen haben:

- Wir haben 1 Mio. Euro für den Ausbau sanitärer Anlagen sowie den barrierefreien Zugang und die geschlechtergerechte Aufteilung von Tagesaufenthalten zur Verfügung gestellt.

- Wir erproben niedrigschwellige Hilfe für wohnungslose Frauen.

- Wir fördern ein Modell der Hilfe zur Arbeit.

- Wir kümmern uns um die Wohnungslosen ohne Krankenversicherung mit einer Clearingstelle.

- Und wir fördern die Selbstvertretung der Wohnungslosen, damit sie ihre Erfahrungen und Kompetenzen in unsere weiteren Überlegungen einbringen können.

Ich will an dieser Stelle aber auch ganz klar sagen: Die Pandemie trifft die Ärmsten besonders stark.

Wenn wir die durch Corona verschärfte Spaltung unserer Gesellschaft verhindern wollen,

dürfen wir diejenigen, die so schnell aus dem Blick geraten, gerade nicht übersehen. Und gemeinsam müssen wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass es Wege aus der Armut gibt.

Sei es mit gesetzlichen Regeln, sei es mit Projekten, sei es mit ehrenamtlichem Engagement.

Denn Armut bedeutet nicht nur einen Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern auch Einschränkungen in der Bildung, der Gesundheitsversorgung sowie der gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb muss es gerade in diesen schwierigen Zeiten unser Ziel sein, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten.

Vielen Dank.“

26.03.2021

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Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Anne Hage

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