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Antwort auf die mündliche Anfrage: Moratorium bei ALG-II-Sanktionen

Hannover. Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Norbert Böhlke geantwortet.

Der Abgeordnete Norbert Böhlke hatte gefragt:

Moratorium bei ALG-II-Sanktionen als Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Nach Angabe der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit gab es im Jahr 2012 rund 104 000 Sanktionen gegen erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das bedeutet einen Anstieg von 19 % gegenüber 2011 und von 56 % gegenüber 2009.

Gegenüber der HAZ hat Frau Ministerin Rundt laut Meldung vom 24. April 2013 erklärt: „Die neuen Zahlen belegen, wie dringend wir ein Moratorium oder vergleichbare Maßnahmen brauchen." In den wenigsten Fällen gehe es um Leistungsmissbrauch, betonte Rundt.

Die Regionaldirektion erklärt den Anstieg mit der vergleichsweise guten Lage am niedersächsischen Arbeitsmarkt. „Deshalb können die Jobcenter den Arbeitssuchenden mehr Angebote machen und sie entsprechend intensiver betreuen", sagt Sonja Kazma, Sprecherin der Regionaldirektion.

Ich frage die Landesregierung:

1. Aus welchen Gründen wurden die jeweiligen Sanktionen verhängt?

2. Wie wird nach Auffassung der Landesregierung ohne Sanktionsmöglichkeiten durch die Jobcenter sichergestellt, dass z. B. Beratungstermine oder Fortbildungsveranstaltungen durch Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher auch wahrgenommen werden?

3. Wie bewertet die Landesregierung Aussagen, wonach ein Moratorium bei den Sanktionen den Rang der Arbeit entwerte und vor allem Beziehern kleiner Einkommen nicht zu vermitteln sei?

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende - geregelt im Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) - soll es den Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Als Teilhabeleistung unterliegt sie aber auch dem Subsidiaritätsprinzip und setzt voraus, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Das Prinzip des Förderns verlangt dabei, dass die Grundsicherung die Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten stärkt und sie bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit sowie bei der Sicherung des Lebensunterhalts unterstützt. Das Prinzip des Forderns erwartet, dass erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen.

Kommen Leistungsberechtigte dieser Verantwortung nicht nach, knüpft der Gesetzgeber in den in § 31 SGB II genannten Fällen eine Minderung des Arbeitslosengeldes (Sanktion) an. Hier steht also ein Verstoß gegen eine Eingliederungsvereinbarung oder die Verweigerung einer zumutbaren Arbeits- oder Ausbildungsmaßnahme im Vordergrund. Das Gesetz sieht aber in § 32 SGB II auch in solchen Fällen eine Minderung des Arbeitslosengeldes vor, in denen Leistungsberechtigte der Aufforderung des zuständigen Trägers nicht nachkommen, sich bei ihm zu melden. Während die Zahl der Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II von 2007 bis 2012 um ca. 19% zurück gegangen ist, hat sich im gleichen Zeitraum die Zahl der Sanktionen wegen Meldeversäumnissen nahezu verdoppelt. Die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen machten 2012 knapp 70% aller Sanktionen aus.

Auf der Grundlage dieser Entwicklung hält es die Landesregierung für geboten zu prüfen, ob diese Zunahme von Sanktionen vor dem Hintergrund der Aufgabe des Gesetzes gerechtfertigt ist. Insoweit bedarf es insbesondere einer vertieften Untersuchung, ob die Minderung des Arbeitslosengeldes II oder des Sozialgeldes bei Meldeversäumnissen, die keinen direkten Bezug zur Eingliederung in Arbeit oder zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit haben, dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Das schließt auch die Prüfung der Frage ein, ob gegebenenfalls bis zu einer Neuregelung von solchen Sanktionen abgesehen werden sollte.

Zwischen der Analyse dieser Sachverhalte im SGB II und dem bedingungslosen Grundeinkommen sieht die Landesregierung keinen Zusammenhang.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Die statistischen Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) geben Auskunft, aus welchen Gründen eine Sanktion verhängt wurde. Die Veröffentlichung der BA ist mit den entsprechenden Fallzahlen auszugsweise beigefügt:

Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II

Anzahl neu festgestellter Sanktionen gegenüber erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (eLb) nach Gründen seit Jahresbeginn

Deutschland nach Ländern und Kreisen

Berichtsmonate Januar bis Dezember 2012

Deutschland

Niedersachsen

Anzahl im Berichtsjahr neu festgestellter Sanktionen

1.024.621

104.069

davon:

Weigerung Erfüllung der Pflichten der Eingliederungsvereinbarung

145.441

13.718

Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, AGH oder Maßnahme

110.984

10.981

Abbruch bzw. Anlass zum Abbruch einer Maßnahme

26.602

3.529

Meldeversäumnis beim Träger

695.665

71.848

Meldeversäumnis beim ärztlichen oder psycho-logischen Dienst

9.350

687

Verminderung von Einkommen bzw. Vermögen

1.698

109

Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens

370

37

Eintritt einer Sperrzeit oder Erlöschen des Anspruchs nach dem SGB III

18.598

1.651

Erfüllung der Vorraussetzung für Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III

15.912

1.509


Zu 2.:

Die Landesregierung fordert nicht den Wegfall von Sanktionsmöglichkeiten, sondern lediglich deren Überprüfung dahingehend, ob sie in jedem Fall erforderlich und geeignet sind, um die Ziele des Gesetzes zu verwirklichen. In dem als Beispiel genannten Fall eines Beratungstermins kann keineswegs vorausgesetzt werden, dass der Zweck der Beratung mit der Drohung einer Sanktion wirksam unterstützt werden kann. Die Landesregierung hält einen respektvollen und konsensualen Umgang mit den SGB II-Leistungsberechtigten für erfolgversprechender, wenn damit der Beratungsbedarf und der aus der Beratung erzielbare Erfolg sichtbarer zu machen sind. Gerade bei unterstützenden Angeboten wie einer Beratung oder fördernden Maßnahmen wie Fortbildungsveranstaltungen ist die positive Einstellung der Adressatin oder des Adressaten und ihre bzw. seine Aufnahmebereitschaft eine wesentliche Bedingung für den Erfolg einer Maßnahme.

Hierzu müssen auch neue Wege beschritten werden. Die Landesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang das Vorhaben der BA, insbesondere Jugendliche auf deren Wunsch noch mal kurzfristig per SMS auf den Termin bei ihrem Berater oder ihrer Beraterin hinzuweisen. Sie sieht es als guten Schritt für das Bemühen der Trägerseite, durch eine Verbesserung der Kommunikation Versäumnisse von Terminen oder Fristen zu reduzieren.

Im Übrigen wird im Rahmen der Prüfung auch zu klären sein, in welchen Fällen die Regelung der Folgen fehlender Mitwirkung in § 66 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) ausreicht.

Zu 3.:

Die Landesregierung teilt die Einschätzung des Fragestellers nicht, dass insbesondere Bezieherinnen und Bezieher von kleinen Einkommen Bedenken gegen ein Sanktionsmoratorium haben könnten und den Rang der Arbeit entwertet sehen.

Die Mitwirkungspflicht von Leistungsberechtigten an der Leistungserbringung ist ein allgemeines Prinzip im Sozialleistungsrecht. Das Einfordern eigener Anstrengungen zählt zu den Grundprinzipien bedarfsabhängiger und am Fürsorgeprinzip orientierter Sozialleistungen. Dieser gesellschaftlich anerkannte Selbsthilfegrundsatz ist sowohl auf Seiten der Hilfeempfänger und -empfängerinnen im SGB II als auch auf Seiten Bezieherinnen und Bezieher kleiner Einkommen allgemein anerkannt und verankert. Hierbei hat die Erwerbsarbeit eine herausgehobene Stellung.

Sollte die Landesregierung zu dem Ergebnis kommen, dass Sanktionen ganz oder teilweise unverhältnismäßig sind und sich deswegen für ein Moratorium aussprechen, wird dadurch die Verpflichtung zur Aufnahme oder Beibehaltung einer Arbeit, die die eigene Subsistenz sichert, in keiner Weise in Frage gestellt.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterstreicht auch eine hervorgehobene Verpflichtung des Staates zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums. Hier sieht die Landesregierung deshalb eine besondere Verantwortung in Bezug auf Entscheidungen, die darauf gerichtet sind, in Einzelfällen staatliche Leistungen so zu verringern, dass damit die Existenz kaum noch oder nicht mehr gesichert werden kann.

30.05.2013

Presse

Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger

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