„Diskriminierung Homosexueller beenden – Vollständige Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft herstellen!“
Rede der Niedersächsischen Sozialministerin Cornelia Rundt
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.06.2013, TOP 14
Es gilt das gesprochene Wort!
„Vor etwa drei Monaten - in der Landtagssitzung im März 2013 – haben wir eine Aussprache zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zum Thema „Normalität statt „schrille Minderheit“ - Ehe auch für Homosexuelle“ – geführt. Die Debatte stand noch unter dem Eindruck des kurz davor ergangenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes zur sogenannten Sukzessivadoption: Das Gericht hatte das Adoptionsverbot eines von einer Lebenspartnerin adoptierten Kindes für verfassungswidrig erklärt.
Das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile entschieden, dass die Ungleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften im Einkommenssteuerrecht verfassungswidrig ist. Bis die entsprechenden Vorschriften neu gefasst sind, können übergangsweise die bestehenden Regelungen zum Ehegattensplitting angewendet werden. Die Neuregelung muss rückwirkend zum 01.08.2001 erfolgen, also bis zu dem Tag, an dem der Gesetzgeber lesbischen und schwulen Paaren das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ermöglichte.
Ich bin fest der Überzeugung, dass dem Ehegattensplitting nicht die Zukunft gehört. Unter anderem aus gleichstellungspolitischen Gründen setze ich mich für dessen Abschaffung ein. Die Ausweitung des Splittings auf Lebenspartnerschaften kann deswegen nur ein – wenn auch außerordentlich wichtiger - Zwischenschritt sein. Ich freue mich sehr, dass sich Bundestag und Bundesrat noch vor der Sommerpause mit der gesetzlichen Umsetzung der Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften im Einkommenssteuerrecht befassen werden. Noch bin ich zuversichtlich, dass die Bundesregierung nicht nur den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes umsetzt. Jetzt gilt es keine halben zu Sachen machen! Zeitgleich müssen auch ähnliche Regelungen, die in direktem Zusammenhang mit der Einkommensteuer stehen, etwa in der Abgabenordnung, im Wohnungsbau-Prämiengesetz und im Gesetz zur Riester-Rente, geändert werden.
Und wenn, wie erhofft, die rechtliche Ungleichbehandlung im Steuerrecht der Vergangenheit angehören wird, bleiben als nächste wichtige Schritte die Änderungen des Adoptionsrechtes und die Öffnung der Ehe. Die Landesregierung wird alles ihr mögliche dazu beitragen, dass die letzten Reste der rechtlichen Ungleichbehandlung von Lesben und Schwulen beseitigt werden. Mit Freude habe ich den Beschluss der Justizministerkonferenz in der vergangenen Woche zur Kenntnis genommen: Mit 14 Ja-Stimmen haben die Justizministerinnen und Justizminister ein volles Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare gefordert. Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, auch eine meiner Vorgängerinnen, Bundesministerin von der Leyen, hat sich für ein solches Adoptionsrecht eingesetzt.
Es wäre dann das Ende eines langen Weges, den Rot-Grün in Niedersachsen von Anfang an intensiv begleitet hat.
Schon 1992 - bei der so genannten „Aktion Standesamt“ - forderte der damalige Sozialminister Hiller die Gleichstellung mit der Ehe. Die Niedersächsische Landesregierung hat sich 1993 als erste mit einem Kabinettsbeschluss dafür eingesetzt, dass gleichgeschlechtliche Paare entweder eine Ehe miteinander schließen oder eine gesetzlich neu zu schaffende Art rechtlich geregelter Lebensgemeinschaft gründen können. Im Oktober 1997 stellte die damalige Staatssekretärin im Sozialministerium Zypries einen entsprechenden Entwurf vor.
1998 brachte die rot-grüne Koalition auf Bundesebene nach ihrem Wahlsieg das Gesetz zur Einführung eines Rechtsinstituts eingetragener Lebenspartnerschaften auf den Weg, mit dem Partnerschaften zwischen lesbischen Frauen und schwulen Männer rechtlich stärker als bisher anerkannt werden sollten. Am 01.08.2001 trat es in Kraft. 2005 wurde es novelliert und erweitert.
Seither ist einige Zeit vergangen, in der sich die Gesellschaft gewandelt hat. Heute – man muss sich diese Zahlen immer wieder vergegenwärtigen – wünschen sich 74 % der Bevölkerung, dass eingetragene Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichgestellt werden. Lediglich 23 % sind dagegen.
Ich bin in erster Linie Sozialpolitikerin, nicht Rechtspolitikerin. Auch deshalb werde ich nicht müde zu betonen: die rechtliche Gleichstellung ist eine notwendige, aber eben nicht hinreichende, nicht ausreichende Bedingung, um Gleichstellung zu erreichen. Diskriminierungsverbote und Rechtsangleichungen reichen allein nicht aus, um Abwertung, tief verwurzelten Vorurteilen und irrationalen Ängsten vor homosexuellen Menschen zu begegnen. Von Ausgrenzung betroffen sind im Übrigen nicht nur Lesben und Schwule, sondern auch bi-, trans- und intersexuelle Menschen, die ich an dieser Stelle ausdrücklich nennen will.
Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung und Akzeptanz, der Freude an Vielfalt und der Begegnung mit denjenigen, die uns auf den ersten und vielleicht auch zweiten Blick suspekt oder fremd sind. Dazu soll eine landesweite Kampagne beitragen, die wir gemeinsam mit Verbänden und Gruppen vorbereiten wollen. Ich freue mich auf ein noch bunteres und lebendigeres Niedersachsen.
Keinem Menschen wird etwas genommen, wenn Lesben und Schwule rechtlich und tatsächlich gleichgestellt sind.“
Artikel-Informationen
erstellt am:
19.06.2013
Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger