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Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage: Keine Präventionsstelle gegen radikalen Islamismus in Hildesheim ̶ Was tut das Land?

Sozialministerin Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Christian Dürr, Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Dr. Stefan Birkner, Jan-Christoph Oetjen und Dr. Marco Genthe (FDP) geantwortet.


Die Abgeordneten Christian Dürr, Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Dr. Stefan Birkner, Jan-Christoph Oetjen und Dr. Marco Genthe (FDP) hatten gefragt:

Wie die HAZ am 24. Juli 2017 berichtete, hat es das Bundesfamilienministerium in Berlin abgelehnt, ein von der Caritas mit Unterstützung der Stadt Hildesheim eingereichtes Konzept finanziell zu unterstützen. Ohne Zuschuss wird die Stadt das Vorhaben aber nicht finanzieren können.

1.Aus welchen inhaltlichen Gründen wurde das Projekt abgelehnt?

2.Plant die Landesregierung jetzt, ein solches Projekt in Hildesheim zu unterstützen und, wenn ja, wie genau, bzw. wenn nicht, warum nicht?

3.Hildesheim ist seit 2015 als zentrale Anlaufstelle für radikale Islamisten in den Schlagzeilen̶ Was hat die Landesregierung bisher im präventiven Bereich in Hildesheim unternommen, und was plant sie in Zukunft noch zu unternehmen?

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

Die neo-salafistische Radikalisierung junger Menschen sowie eine damit ggf. einhergehende Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt stellen Staat und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Radikalisierungsprozessen muss daher rechtzeitig vorgebeugt werden. Ebenso sind effektive Präventionsstrukturen erforderlich, um eine weitere Radikalisierung aufzuhalten. Das Land Niedersachsen begegnet diesen Herausforderungen, indem es landesweit wirksame Präventionsstrukturen etabliert hat. Eine vielfältige Präventionslandschaft, so wie sie in Niedersachsen aufgebaut wurde, ist notwendig, da Prävention auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen muss. Gleichzeitig wird eine strukturierte und abgestimmte Vorgehensweise gewährleistet.

Zu 1.:

Der Caritasverband für Stadt und Landkreis Hildesheim e.V. hat mit dem Projekt „Radius̶ Service- und Beratungsstelle gegen Radikalisierung und Demokratiefeindlichkeit“ am Interessensbekundungsverfahren des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Programmbereich E „Modellprojekte zur Radikalisierungsprävention“ teilgenommen. Ziel dieses auf zunächst 3 Jahre angelegten Projektentwurfes ist ein strategisch angelegter Handlungsansatz zur Radikalisierungsprävention im Raum Hildesheim unter Einbindung der Themenfelder Demokratiefeindlichkeit, religiös-begründete Radikalisierung, Islamfeindlichkeit sowie Missbrauch von Religion. Für die Teilnahme am Interessensbekundungsverfahren mussten neben dem Antrag eine Kofinanzierung in Höhe von 20 % und zwei befürwortende Stellungnahmen beigebracht werden. Die Interessensbekundungen wurden dann von externen Gutachtern des BMFSFJ geprüft. Im Programmbereich E werden primär innovative, modellhafte Ansätze gefördert, da die Förderung von Regelstrukturen Länderaufgabe ist (§ 83 SGB VIII). Im Programmbereich E lagen dem BMFSFJ insgesamt 81 Interessenbekundungen vor, wobei das Projekt des Caritasverbandes für Stadt und Landkreis Hildesheim e.V. knapp unter der Mindestpunktzahl zur Förderung lag.

Zu 2.:

Die Förderung eines solchen Projektes durch das Land ist dann sinnvoll, wenn die bereits bestehenden Präventions- und Beratungsstrukturen durch eine ergänzende Projektgestaltung vor Ort gestärkt werden. Hierzu zählen z.B. eine örtliche Koordination der relevanten Sozialraumakteure sowie eine unterstützende Primärprävention (z.B. in Schule, Jugendarbeit und Zivilgesellschaft).

Insoweit wurde das Projekt des Caritasverbandes für Stadt und Landkreis Hildesheim e.V. bereits während der Antragstellung vom Arbeitsbereich „Prävention von salafistischer Radikalisierung und Islamfeindlichkeit“ im Landes-Demokratiezentrum (angebunden an den Landespräventionsrat im Justizministerium, LPR/MJ) unterstützt. Des Weiteren wurde eine befürwortende Stellungnahme zum Projekt eingereicht. Nachdem das BMFSFJ den Antrag abgelehnt hatte, wurde von Seiten des Landes-Demokratiezentrums umgehend eine anderweitige Finanzierung geprüft, da das Projekt des Caritasverbandes für die Präventionsarbeit in der Region Hildesheim von besonderer landesweiter Bedeutung ist. Entsprechend kann das Projekt im Jahr 2017 vollumfänglich und für 2018 und 2019 mit ca. 55.000 Euro (aus Bundesmitteln) gefördert werden. Die Förderung erfolgt nun nicht mehr direkt durch das BMFSFJ, sondern durch das Landes-Demokratiezentrum. Am 08.08.2017 wurden bereits erste Abstimmungen mit dem Caritasverband für Stadt und Landkreis Hildesheim getroffen, wobei mit den 55.000 Euro zunächst die Grundfinanzierung des Projektes gewährleistet ist. Gleichzeitig berät das Landes-Demokratiezentrum den Projektträger weiterhin bei der Akquise von Projektgeldern.

Für weitere primärpräventive Maßnahmen gegen Demokratiefeindlichkeit ist eine Förderung durch die Richtlinie Demokratie und Toleranz des Sozialministeriums möglich. Das Projekt kann somit zum 01.09.2017 seine Arbeit aufnehmen.

Für den Aufgabenbereich der Angehörigen- und Fachberatung bleibt die landesweite Beratungsstelle beRATen e.V. zuständig. Aus dem Projekt der Caritas in Hildesheim erfolgt bei Bedarf eine Verweisung der Beratungssuchenden an die vom Land finanzierte Beratungsstelle beRATen e.V. Die Beratungskräfte von beRATen e.V. nehmen ihre Aufgaben bedarfsgerecht auch vor Ort wahr, sodass eine professionelle Beratung und Einbindung dieser Beratungsstelle sichergestellt ist. Hierdurch werden eine Doppelfinanzierung sowie die Förderung von Parallelstrukturen vermieden.

Zu 3.:

Wie bereits unter Frage 2 beschrieben, wurde die Antragstellung des Caritasverbandes durch das Landes-Demokratiezentrum (LPR/MJ) unterstützt und positiv bewertet. Mit der kurzfristigen Übernahme der Förderung des Projektes durch das Landes-Demokratiezentrum können weitere, sehr gute Präventionsstrukturen aufgebaut werden. Bereits zu Beginn des Jahres 2016 hatte der LPR erste Vernetzungsgespräche mit dem Kommunalen Präventionsrat der Stadt Hildesheim aufgenommen.

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hat mit dem Aufbau der Beratungsstelle „beRATen e.V.“ eine effektive, landesweit tätige Beratungsstruktur im Bereich der Angehörigen- und Fachberatung geschaffen. Die Personalstärke dort wurde bereits aufgestockt und mit 7 Beratungskräften mehr als verdoppelt. Der multiprofessionelle Ansatz des Beratungsteams (z.B. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, auch mit muslimischen Hintergrund) und die ausgeweiteten Kapazitäten haben sich bewährt. Damit erfüllt die Beratungsstelle bedarfs- und nachfragegerecht landesweit ihre Aufgaben im Bereich der Angehörigen- und Fachberatung. Auch in Hildesheim ist die Beratungsstelle beRATen e.V. bereits in 29 Beratungsfälle involviert. Darüber hinaus haben deren Beratungskräfte in Hildesheim einen Runden Tisch initiiert, der unter Federführung des dortigen Jugendamtes verschiedene Sozialraumakteure zusammenbringt.

Das Niedersächsische Landesjugendamt plant für 2018 eine Fortbildungsreihe, die u.a. Radikalisierungsverläufe und Möglichkeiten der Prävention zum Inhalt hat und sich an Fachkräfte der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, des Jugendschutzes und des Kinderschutzes richtet.

Als Präventionsangebot im Bereich des Kinderschutzes wird zudem die Beratungsstelle im Bereich Gewalt gegen Kinder, in der Trägerschaft des Deutschen Kinderschutzbundes ̶ Ortsverband Hildesheim, mit Landesmitteln gefördert.

Das Kultusministerium verfolgt mit verschiedenen Maßnahmen im Bereich der politischen Bildung einen Ansatz der primären Prävention, der alle Schülerinnen und Schüler adressiert und darauf abzielt, bei diesen erwünschte demokratische Haltungen zu stärken, Zugehörigkeit und Teilhabe zu ermöglichen und damit zugleich einer Radikalisierung vorzubeugen. Denn häufig gehen Radikalisierungsprozessen junger Menschen Wahrnehmungen oder Erlebnisse der gesellschaftlichen Ausgrenzung, der Diskriminierung, der Fremdheit oder Entfremdung voraus.

Speziell zum Thema Islamismus-/Neo-Salafismusprävention wurde im Dezember 2015 eine Fachtagung für die niedersächsischen Lehrkräfte veranstaltet, an der auch Hildesheimer Lehrkräfte teilgenommen haben.

Die Regionalabteilung Hannover der Niedersächsischen Landesschulbehörde (NLSchB) führte im Herbst 2016 in Hildesheim in Kooperation mit der dortigen Polizeidienststelle eine Veranstaltung mit dem Titel „Islamistischer Extremismus – Bedrohungen und Handlungsmöglichkeiten“ durch.

Die Niedersächsische Landesregierung hat mit der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 08. Dezember 2015 „Wachsende salafistische Gefahr in Niedersachsen̶ Was unternimmt die Landesregierung?“ (LT.-Drs. 17/5492) umfassend über Präventionsmaßnahmen und Akteure im Kontext der salafistischen/islamistischen Radikalisierung berichtet.

Im Raum Hildesheim wurde seit 2015 eine Reihe von Informations- und Sensibilisierungsveranstaltungen zum Phänomenbereich Islamismus/Salafismus durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz, das Landeskriminalamt Niedersachsen mit der Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität (PPMK) und der regionalen Polizeidirektion Göttingen durchgeführt. Es gelang dabei, eine Vielzahl von Personen zu erreichen. Zielgruppen waren u.a. Kommunalpolitikerinnen und -politiker, Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz, des Arbeitsamtes, der Flüchtlingsunterkünfte und die Öffentlichkeit.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz schulte von 2015 bis Ende 2016 in sechs Vorträgen etwa 650 Personen. Darüber hinaus werden regelmäßig Vortragsveranstaltungen für überregionale Organisationen (z.B. Polizeiakademie, Bundesfreiwilligendienst etc.) im Dienstgebäude des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angeboten. An diesen Inhouse-Veranstaltungen sowie an den öffentlichen Veranstaltungen des Verfassungsschutzes (z.B. Symposien) nehmen auch Präventionsakteure aus Hildesheim teil. Daneben ist das Aussteigerprogramm „Aktion Neustart̶ Islamismus“ des Verfassungsschutzes vor Ort aktiv und steht im Austausch mit den örtlichen Präventionsakteuren.

Die PPMK führte bislang mehr als 15 Informationsveranstaltungen, teilweise in Kooperation mit anderen Akteuren, durch. Dazu zählen beispielsweise die Veranstaltung mit Podiumsdiskussion „Im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus“ an der Universität Hildesheim am 17.02.2016 und Vorträge für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften und Jobcenter. Darüber hinaus koordiniert die PPMK innerhalb der Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) präventive Maßnahmen in Hildesheim.

Zu Maßnahmen in der regionalen Polizeidirektion Göttingen gehörten ferner Sensibilisierungsveranstaltungen, z.B. die Beratung eines interreligiösen Arbeitskreises in der Nordstadt Hildesheim zur Frage der Kooperation mit dem ehemaligen Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim und ein Vortrag mit Diskussionsrunde zum Thema „Islamismus, Salafismus, Jihadismus – Wenn der Glaube zum Wahn wird“. Durch die Polizeiinspektion Hildesheim erfolgten Sensibilisierungsmaßnahmen der Justiz, u.a. durch Fortbildungsveranstaltungen für den Ambulanten Justizsozialdienst und Justizangehörige des Amtsgerichtes Hildesheim, der Staatsanwaltschaft Hildesheim und des Landgerichts zur Gefährdungslage Salafismus. Daneben fanden Sensibilisierungsmaßnahmen von kommunalen Einrichtungen, Schulen und Einrichtungen mit jugendlichen Zielgruppen sowie von Unterkünften für Flüchtlinge und Asylsuchende statt.

Der Raum Hildesheim wird insofern aufgrund seiner Bedeutung in der salafistischen Szene fortwährend in die Präventionsarbeit der Polizei und des Verfassungsschutzes einbezogen. Unter anderem befindet sich im Kontext des Projektes der Handwerkskammer, geflüchtete junge Menschen in Arbeit zu bringen, eine Informationsveranstaltung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Handwerkskammer in Planung.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
17.08.2017

Ansprechpartner/in:
Naila Eid

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