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Margit Reuter: "Wichtiger Schritt in die Zukunft"

Sprachliche und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen


Obwohl ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vielen Bereichen des Arbeitslebens heute unentbehrlich geworden sind und damit in hohem Maße zum Funktionieren unserer Gesellschaft beitragen, sind sie statistisch gesehen sehr viel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als ihre deutschen Nachbarn. Das niedersächsische Employment-INTEGRA-Projekt will diese Entwicklung stoppen.

Die mit langfristiger Arbeitslosigkeit verbundenen Folgen sind häufig der Verlust an Selbstwertgefühl, physische und/oder psychische Erkrankungen, Frustration und Aggression bzw. Resignation bei jugendlichen Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten.
Damit setzt ein Mechanismus ein, bei dem die besonderen praktischen und kreativen Leistungen, die Menschen in Migrationsprozessen zu erbringen haben, verloren gehen. Je länger der Zeitraum zwischen Arbeitslosigkeit und der Aufnahme einer Arbeit ist, um so schwieriger gelingt eine Reintegration. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, wurde ein durch die Europäische Union (EU) und das Land Niedersachsen gefördertes Modellprojekt zur sprachlichen und beruflichen Qualifizierung von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Employment entwickelt, das in nunmehr drei Förderperioden sehr erfolgreich in ganz Niedersachsen umgesetzt wird.
Unter der Federführung des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales – Büro der Ausländerbeauftragten – werden in dem Gesamtprojekt der Gemeinschaftsinitiative Employment-INTEGRA in 17 lokalen Projektstellen Maßnahmen zu den im nachfolgenden beschriebenen Schwerpunkten durchgeführt. Das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) und das Institut für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen (IBKM) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg haben die Koordinierung und wissenschaftlich Begleitung des Gesamtprojektes sowie die Gestaltung der transnationalen Zusammenarbeit übernommen.

Entwicklung des Projektes

Hervorgegangen aus dem seit 1991 in Niedersachsen bestehenden Modellprojekt der Dezentralen Flüchtlingssozialarbeit und den daraus gewonnenen Erfahrungen wurden im ersten HORIZON-Projekt des Landes Niedersachsen von 1993 bis 1994 die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen mit Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen erprobt. Aufgrund der positiven Resonanz wurde das HORIZON-Projekt von 1995 bis 1997 mit sprachlichen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen in zehn Projektstellen landesweit fortgesetzt. Ziel der Qualifizierungsmaßnahmen in unterschiedlichen Berufsfeldern war die langfristige Integration in den Arbeitsmarkt. Das gute Ergebnis mit einer Vermittlungsrate von ca. 75 % und die in dieser Förderperiode gemachten Erfahrungen führten zu einer Fortschreibung für eine weitere Laufzeit von zwei Jahren in der Gemeinschaftsinitiative Employment-INTEGRA. Aufgrund der in der Durchführung festgestellten strukturellen Defizite wurde der Bereich der sprachlichen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen um drei weitere Schwerpunkte ergänzt:

  • interkulturelle Öffnung der kommunalen Beratungsangebote

  • Öffnung der Gemeinwesenarbeit mit niedrigschwelligen Angeboten

  • Stärkung der Selbstorganisation von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten.

Auf diese Weise wurde ein niedersachsenweites Netzwerk geschaffen, in dem nicht nur Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zur Zielgruppe von Qualifizierung gehören, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kommunen, Verwaltungen und Behörden, und auch verschiedene Akteure aus Bildung- und Gemeinwesen einbezogen sind. Eines der Ziele ist, alle beteiligten Akteure für interkulturelle Begegnungen zu sensibilisieren und zu professionalisieren, um damit die Zusammenarbeit effektiver und mit weniger Reibungsverlusten zu gestalten, Konflikte zu vermeiden oder – wenn sie auftreten – besser zu verstehen und lösen zu können.

In den Projekten der Gemeinwesenarbeit mit niedrigschwelligen Angeboten wurden in fünf Projektstellen unterschiedliche Förderkonzepte entwickelt, mit deren Hilfe jugendlichen Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten, die sich im Übergang von Schule zu Beruf befinden, der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden soll. Durch den Aufbau von Fördernetzwerken im Gemeinwesen, die Zusammenarbeit mit Schulen, Behörden, potentiellen Arbeitgebern und nicht zuletzt den Eltern der Jugendlichen wird die besonders schwierige Lage der Jugendlichen thematisiert und gemeinsam mit staatlichen und nichtstaatlichen Stellen an deren Verbesserung gearbeitet. Die Jugendlichen selbst bekommen in speziell eingerichteten offenen Treffs die Möglichkeit, in computergestützten Angeboten ihre Sprach- und EDV-Kompetenzen zu verbessern, sich in Job-Börsen in verschiedenen Berufen auszuprobieren, sowie ihre sozialen Kompetenzen durch den regelmäßigen Austausch mit männlichen und weiblichen Jugendlichen aus unterschiedlichsten Kulturen zu verbessern. Jungen Müttern, die an Alphabetisierungsmaßnahmen und Sprachkursen teilnehmen, wird der Aufbau und die Bedeutung des deutschen Kindergarten- und Schulsystems vermittelt. Selbstbewusstsein und Partizipation werden gefördert, indem die Besucherinnen und Besuchern selbstverantwortlich Aufgaben in den Einrichtungen übernehmen.

Der Schwerpunkt "Selbstorganisation von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten" hat Fortbildungskonzepte zum Ziel, die selbst von Migranten für Migranten entwickelt und durchgeführt werden, um sie in Bereichen der Partizipation und der Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern und zu unterstützen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden von der Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen (AMFN) bereits Fortbildungen im Bereich Vereinsmanagement und Büroarbeit durchgeführt und eine Bestandsaufnahme von Migranten-, Flüchtlings- und interkulturellen Vereinen in Niedersachsen vorgenommen.

Integrationsförderung durch Qualifizierung

Die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen mit Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten erfordert von allen Beteiligten eine große Flexibilität und ist sowohl mit vielschichtigen Lernprozessen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als auch für die Träger der Maßnahmen, die Kooperationspartner und nicht zuletzt für das gesamte pädagogische Team verbunden.
Restriktive rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen sind zu überwinden und erfordern bereits bei der Teilnehmerinnen- und Teilnehmer-Akquise die Kooperationsbereitschaft von Sozial- und Arbeitsämtern und häufig auch der Ausländerbehörden. Um Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zu erreichen, sind in enger Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Dezentralen Flüchtlingssozialarbeit ausführliche und möglichst mehrsprachige Informationsveranstaltungen durchzuführen. Diesen folgen Einzelgespräche und – wenn erforderlich – Interventionen bei den zuständigen Ämtern, damit Ermessensspielräume im Sinne einer Teilnahme genutzt werden.
Die große Heterogenität innerhalb der Qualifizierungsmaßnahmen wie bis zu 17 unterschiedliche Nationalitäten, stark divergierende Sprachkenntnisse und Bildungsniveaus, große Altersunterschiede und gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung erfordert ein hohes Maß an Empathie, an interkulturellen Kompetenzen und an Methodenvielfalt, um den Unterricht teilnehmerinnen- und zielorientiert gestalten zu können.
Bewusst wurden deshalb von einigen Projektstellen von Migrantinnen, Migranten und Deutschen paritätisch besetzte pädagogische Teams zusammengestellt.
Aufgrund der Erfahrung, dass Frauen in gemischtgeschlechtlichen Maßnahmen eher zurückhaltend bleiben, wurden in fünf lokalen Projektstellen frauenspezifische Maßnahmen konzipiert und durchgeführt. Diese haben neben der konkreten Vermittlung in Arbeit auch die Vorbereitung auf weiterführende schulische bzw. berufliche Bildung und Abschlüsse zum Ziel.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich wieder hohe Vermittlungsraten vorweisen. Neben diesen gibt es auch Erfolge, die nicht in Zahlen zu messen sind. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren einen Zuwachs an Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl durch die gestellten und gelösten Aufgaben und den Austausch in der multikulturell zusammengesetzten Gruppe und die Erfahrung, dass Arbeitslosigkeit kein ausschließlich individuelles Schicksal ist. Hinzu kommen der Erwerb von Kompetenzen wie verbesserte Deutschkenntnisse, ein besseres Verständnis der deutschen Gesellschaft durch Theorievermittlung und den Kontakt mit deutschen Arbeitgebern und Kolleginnen und Kollegen während der Betriebspraktika. Im Rückblick auf die Qualifizierungsmaßnahme "Mehr Farbe in die Medien" bei der INTEGRA-Projektstelle Arbeit und Leben/VHS, Hannover, stellt eine Teilnehmerin abschließend fest:

"15 Monate sind eine lange Zeit, aber irgendwie sind sie viel zu schnell vergangen. Und was bleibt: nun, wir haben nicht nur gelernt, uns kritisch mit unserer Umwelt auseinanderzusetzen, sondern mit unseren Beiträgen Verantwortung übernommen. Und uns der Kritik zu stellen, das war oft ein schwieriger, aber wichtiger Schritt nicht nur für unsere berufliche Zukunft. Schade, dass dieses Pilotprojekt keine Fortsetzung findet."

Resümee

Die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen bedeutet für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten einen wichtigen Schritt in Richtung berufliche Integration. Hierfür sind sie bereit, auch Unannehmlichkeiten wie weite Anfahrtswege, finanzielle Einbußen, Doppelbelastungen und unter Umständen einen Statusverlust auf sich zu nehmen. Für sie bedeutet die Teilnahme sehr viel mehr als "nur" Weiterbildung, waren sie doch vorher meist zum Nichtstun verurteilt und sehen nun eine Möglichkeit, ihre Situation zu verändern. Das drückt sich in der Maßnahme durch eine hohe Lernbereitschaft und Motivation und nicht zuletzt durch die abschließend gelungene Vermittlung in Arbeit aus.

Ein wichtiges Ergebnis aus den durchgeführten Maßnahmen ist, dass es von Anfang an für alle Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten Deutschsprachkurse als Regeleinrichtung – ähnlich wie in Dänemark und anderen europäischen Ländern – geben sollte, da sich schlechte und mangelnde Deutschkenntnisse bei vielen als ein wesentliches Hindernis bei der Vermittlung in Arbeit herausstellten.

Anzustreben wäre es, die Qualifizierungsmaßnahmen mit anerkannten Abschlüssen zu beenden, um die beruflichen Chancen zu verbessern. In den Fällen, wo qualifizierte Abschlüsse und berufliche Erfahrung bereits in den Herkunftsländern gemacht wurden, sollte es ein vereinfachtes Verfahren der Überprüfung durch praktische Tests und ergänzende theoretische Tests bei den jeweiligen Kammern oder Bildungseinrichtungen geben. Die Tests sollten so gestaltet sein, dass sie auch für Menschen aus anderen Kulturkreisen und mit nicht perfekten Deutschkenntnissen zu lösen sind.

Wer mehr über die Arbeit des Gesamtprojektes erfahren möchte und Interesse an Unterrichtsmaterialien und Dokumentationen hat, die in den einzelnen Projektstellen erstellt wurden, kann über die zentralen Projektstelle des Employment-INTEGRA-Projektes an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Alexanderstr. 316, 26127 Oldenburg, eine Veröffentlichungsliste anfordern.

Margit Reuter, Dipl.-Soz.Päd., Dipl.-Entw.Pol., wiss. Mitarbeiterin, Employment-INTEGRA, Universität Oldenburg

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