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Kay Plötner/Serdar Saris: Drogenarbeit und Prävention

Jugendliche Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler in der Suchtberatung


Sowohl die ethnische Herkunft von Drogenabhängigen als auch das Drogenhilfesystem in Deutschland unterliegen besonders in den letzten 10 Jahren einem deutlichen Wandel. Immer mehr Abhängige mit migrationsspezifischem Hintergrund, Aussiedlerinnen, Aussiedler und Flüchtlinge suchen Hilfe in Suchtberatungsstellen und stationären Einrichtungen.

Im Großraum Hannover, so Schätzungen, sind von den rund 5000 Drogenabhängigen etwa 20% Konsumenten ausländischer Herkunft. Dieser Wert ist im Verhältnis zur hannoverschen Bevölkerung mit ausländischer Herkunft überproportional hoch. Die besondere Situation der Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern, die eine mögliche Drogenabhängigkeit fördert, steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtung. Insbesondere werden Zugangsbarrieren dieser Klientel zum Drogenhilfesystem benannt und Lösungsansätze des Jugend- und Drogenberatungszentrum Hannover (DROBS) beschrieben. Die DROBS besteht seit 28 Jahren und ist als Einrichtung der STEP gGmbH in ein differenziertes Betreuungs-, Beratungs- und Behandlungsangebot in und um Hannover eingebunden.

Die Integration von Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern in Deutschland ist weiterhin ein schwieriger Prozess. Vielfach endet dieser Prozess zwischen Anpassung und Schaffung einer eigenen ethnischen Identität. Für einen in Deutschland lebenden und hier aufgewachsenen Türken, der kaum das Land seiner Eltern kennt, oder einen Aussiedler deutscher Nationalität, der in Tadschikistan aufgewachsen ist, stellt sich die gleiche Frage nach ihrem Platz in unserer Gesellschaft. Orientierungsprobleme und fehlende Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung erschweren die Integration für viele jugendliche Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler.

Strategien zur Lebensbewältigung

Lebensalltag und -strategien von jugendlichen Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern unterliegen soziokulturellen Einflüssen der Herkunftsländer. Ihre Wertvorstellungen orientieren sich auch an den ethnisch-religiösen Lebenswelten ihrer Eltern. In Generationenkonflikten unserer Gesellschaft kommen diese Lebensstile immer mehr zum tragen.

Beziehungen im Umbruch

Beziehungen von jugendlichen Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern konzentrieren sich im wesentlichen auf die Familie und den Freundeskreis. Der Verlauf der Umbrüche in der Pubertät ist von deutlichen Polaritäten gekennzeichnet. Der Aufbau neuer sozialer Beziehungen führt häufig zu massiven Konflikten und Problemen, bei deren Bewältigung diese Jugendlichen meist alleine gelassen werden.

Stellung innerhalb der Gesellschaft

Bildungsniveau und Qualifikationsstand zwischen jugendlichen Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie gleichaltrigen deutschen Jugendlichen unterscheiden sich erheblich. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens werden diesen Jugendlichen Unkenntnis und Unverständnis entgegengebracht. Falls dann noch eine Drogenabhängigkeit hinzukommt, potenzieren sich die stigmatisierenden Effekte. Daher gehören Diskriminierungserfahrungen zum Alltag dieser Jugendlichen.

Zugang zum Drogenhilfesystem

Über das stark differenzierte und institutionalisierte Hilfesystem haben Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler einerseits wenig Information, andererseits ist dieses System für sie schwer zu durchschauen. Daher bereitet es ihnen enorme Probleme herauszufinden, wer für sie der richtige Ansprechpartner ist. Wenn sie den Weg zum Drogenhilfesystem gefunden haben, ist ihr Wunsch in der Beratung nach unmittelbar zu realisierenden Lösungen sehr stark. Die Motivation, im Beratungsprozess zu verbleiben, sinkt allerdings enorm, wenn das "Patentrezept" zur Lösung ihrer Probleme nicht zeitnah geliefert wird.

Darüber hinaus werden die Beratungsstellen oft als Teil von Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen angesehen. Dies erschwert sowohl die Kontaktaufnahme als auch den weiteren Beratungsprozess. Informationen über unabhängige Beratungsstellen, Schweigepflicht der Beraterinnen und Berater sowie anonyme Beratung sind kaum vorhanden.

Defizite der Beratung

Leider sind Informationen über migrationsspezifische Sozialisationsprozesse, ethnisch-religiöse Zusammenhänge, soziokulturelle Strukturen der Ursprungsgesellschaften etc. in Suchtberatungsstellen wenig vorhanden. Die interkulturelle Kompetenz im Drogenhilfesystem muss dringend ausgebaut werden. Erste konkrete Ansätze sind durch den Einsatz von Drogenberaterinnen und -beratern ausländischer Herkunft in der DROBS Hannover und in der offenen Drogenszene realisiert worden. In der Drogenarbeit brauchen wir mehr muttersprachliche Berater/Therapeuten und Fort- und Weiterbildungsangebote in der interkulturellen Suchthilfe.

Fachwissen stärken

Gewalttätiges Verhalten oder hoher Alkoholkonsum haben oft Ursachen, die u.a. auf die Zustände im Herkunftsland zurückzuführen sind (z.B. Krieg, schlechte ökonomische Lage). Jugendliche Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler wollen umfassend beraten werden. Neben der Drogenabhängigkeit haben soziale Konflikte, ausländerrechtliche Fragen etc. einen hohen Stellenwert. Dabei wird auch eine umfassende Lebensberatung notwenig. Oft wird der Berater als "Freund" und nicht als professioneller Helfer gesehen. Es ist daher wichtig, Drogenarbeiterinnen und -berater in interkulturellen Angelegenheiten verstärkt auszubilden.

Muttersprachliche Drogenarbeiter

Muttersprachliche Angebote erhöhen die Akzeptanz bei Jugendlichen ausländischer Herkunft. Es ist folgenschwer, wenn Klientinnen und Klienten aus der offenen Drogenszene oder Eltern von drogenabhängigen Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern den Weg zur Beratung und Hilfe nicht finden, weil sie dort nicht verstanden werden.

Ein großer Teil der Klientinnen und Klienten in der DROBS Hannover sind unterschiedlicher Nationalität bzw. nicht deutscher Herkunft. Um russisch oder türkisch sprechende Jugendliche besser beraten zu können, ist jeweils ein Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen eingestellt worden. Diese beraten schwerpunktmäßig Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler. Parallel hierzu werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in interkulturellen Fragen durch diverse Maßnahmen bewusst sensibilisiert. Ziel ist es, die Kompetenz der DROBS Hannover in der interkulturellen Suchthilfe auszubauen und ein sinnvolles und notwendiges Angebot für Migrantinnen und Migranten in der Region anzubieten.

Der Erstkontakt zu diesen Jugendlichen ist für den weiteren Beratungs- und Therapieprozess sowie den Abbau von Vorbehalten entscheidend. Die Möglichkeit, sich in der bevorzugten Sprache mit einem Berater unterhalten zu können, sich verstanden und gut aufgehoben zu fühlen, fördert den Beratungsprozess. Dies kann u.a. durch muttersprachliche Hinweise, Informationen und durch Bilder, die einen Wiedererkennungseffekt und damit einen ersten Anknüpfungspunkt für den Kontakt schaffen, erreicht werden. Dabei ist eine umfassende Aufklärung über die Modalitäten unserer Arbeit enorm wichtig. Auf unsere Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen und die Bedeutung der Schweigepflicht kann gar nicht genug hingewiesen werden.

Die biographischen Besonderheiten und oft großen Sprachschwierigkeiten der drogenabhängigen Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern erfordern eine höhere Intensität im Beratungsprozess. Auf Grund der Bedeutung der Familie werden Angehörige in den Beratungsprozess sehr oft mit einbezogen – übrigens oft auch auf Wunsch der Abhängigen.

Für Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler sind Kontinuität und ein fester Ansprechpartner sehr wichtig. Die Vernetzung der DROBS Hannover mit anderen Einrichtungen innerhalb der STEP gGmbH ermöglicht eine umfassende Hilfe – vom Streetwork in der offenen Straßenszene bis hin zur ambulanten oder stationären Therapie und der notwendigen nachsorgenden Betreuung. Intensive Kontakte zur Einrichtung "Café Connection" in der hannoverschen Drogenszene, wo ebenfalls russisch- und türkischsprachige Kolleginnen und Kollegen arbeiten, führten zu einer Steigerung der Beratungszahlen von Migrantinnen, Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler in der DROBS Hannover.

Diese drogenabhängigen Jugendlichen sind vielen Vorurteilen in der öffentlichen Meinung ausgesetzt. Durch ihre Arbeit wirken die Mitarbeiter der DROBS Hannover diesen entgegen und fördern die gesellschaftliche Integration. Dabei bekommt die Zusammenarbeit mit entsprechenden Migrationsdiensten, den Aussiedlerberatungsstellen und sonstigen Einrichtungen für Migrantinnen und Migranten eine größere Bedeutung. Die DROBS Hannover stellt dabei ihre migrationsspezifischen Erfahrungen und ihr Fachwissen zur Verfügung.

Wladimir

Wladimir wurde 1974 in Tadschikistan/ UdSSR mit deutscher Nationalität geboren. Er hat drei Geschwister. Für seine Freunde spielte die Nationalität nie eine Rolle. Wladimir schloss die Schule erfolgreich ab, machte sein Abitur und ging zur Hochschule. Gedanken über Alternativen der Lebensplanung hat er sich nie gemacht. Dies änderte sich, als sich die UdSSR auflöste. Nun lebte er als Christ in einem islamischen Staat, der bald von ethnischen Konflikten heimgesucht wurde. Dies war der Grund für Wladimirs Familie, 1995 nach Deutschland auszureisen. Für Wladimir rissen damit viele Kontakte ab.

Der junge Mann kam nach Hannover, wo er eine Umschulung und einen Deutschkurs machte. Danach war er arbeitslos. Sein Deutsch war sehr schlecht, Arbeitsmöglichkeiten gab es kaum und von den Deutschen wurde er als "Russe" bezeichnet.

Über andere Aussiedler kam er in Kontakt mit Heroin, das er sich zusammen mit anderen Drogen regelmäßig spritzte. Gleichzeitig konsumierte er Alkohol, in dessen Folge er Straftaten beging. Wladimir fiel durch hohe Gewaltbereitschaft auf. Vom Gericht erhielt er die Auflage, eine Therapie zu machen. Nachdem Wladimir schon Kontakt mit Sozialarbeitern in der hannoverschen Drogenszene aufgenommen hatte, kam er gemeinsam mit seiner Freundin zur DROBS Hannover, wo beide weiter betreut wurden.

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Ali

Ali ist türkischer Nationalität und 1980 in der Türkei geboren. Er hat 2 Brüder und 2 Schwestern. 1985 zog die Familie nach Deutschland ins Ruhrgebiet. Seitdem arbeitet der Vater als Bauarbeiter, die Mutter ist Hausfrau. Beide sprechen sehr schlecht Deutsch. Durch die Arbeit des Vaters musste die Familie sechs Mal umziehen, was für Ali immer ein Wechsel der Schule und der Freunde bedeutete. Nach dem Hauptschulabschluss nahm Ali einige Gelegenheitsjobs an, eine Berufsorientierung oder -ausbildung fand nicht statt. Eine Ausbildung zum Metallbauer brach Ali nach kurzer Zeit ab.

1994 zog die Familie in den Landkreis Hannover. Hier erhielt Ali 1996 das erste Mal Heroin von einem Freund und spritzt sich dies zusammen mit anderen Drogen seitdem regelmäßig. Um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, wurde Ali straffällig. Ende 1997 musste er für ein Jahr in Jugendhaft, wo er Methadon erhielt. In Haft absolvierte Ali ein Berufsvorbereitungsjahr und arbeitete als Malerhelfer.

Aus der Haft entlassen, traf Ali wieder auf "alte Freunde" und begann, erneut Drogen zu nehmen. Wiederum wurde er straffällig. Die Familie fühlte sich mit diesem Problem überfordert. Es ging so weit, dass sie Ali mit seinem Einverständnis einsperrten. Anfang 1999 versuchte Ali, sich umzubringen.

Ali kam schließlich zusammen mit seiner Familie in die DROBS Hannover, um einen Ausweg aus seiner Drogenabhängigkeit zu finden.

Kay Plötner und Serdar Saris sind Mitarbeiter des Jugend- und Drogenberatungszentrum Hannover

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