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Mündliche Anfrage: Wird schwerstkranken jungen Cannabisabhängigen die stationäre Behandlung in suchtmedizinischen Krankenhausabteilungen und Kliniken erschwert?

Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage


Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Christian Dürr, Horst Kortlang, Gabriela König und Dr. Marco Genthe (FDP) geantwortet.

Die Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Christian Dürr, Horst Kortlang, Gabriela König und Dr. Marco Genthe (FDP) hatten gefragt:

Experten schätzen die Zunahme der schwerstkranken Cannabisabhängigen, die frühzeitig mit dem Konsum beginnen und damit einen Teil ihrer geistigen und sozialen Entwicklung nicht durchlaufen, als gravierend ein.

Suchtmedizinische Krankenhausabteilungen und Kliniken werden zunehmend mit diesen jungen Patientinnen und Patienten konfrontiert, die einem ambulanten Entzug aufgrund verschiedener Voraussetzungen nicht gewachsen sind und deshalb eine stationäre Krankenhausbehandlung benötigen. Als Voraussetzung gilt beispielsweise der Vorrang des Substanzkonsums vor anderen Interessen und Verpflichtungen, Entzugssymptome, Kontrollverlust und ein bestehender Zwang, Cannabis zu konsumieren. Auch zeigt sich aufgrund eines schwankenden THC-Gehaltes von Cannabis eine starke und früher eintretende Abhängigkeit. Suchtmediziner sprechen sich auch für eine stationäre Behandlung aus, da erst nach einem qualifizierten Entzug Weiterbehandlungsmöglichkeiten herangezogen werden können.

Bezüglich der Übernahme von Behandlungskosten bei Cannabisabhängigen, bei denen eine stationäre Behandlung geboten ist, zeigen manche Krankenkassen jedoch eine große Zurückhaltung. Versorgungskliniken berichten, dass die Kosten für die stationäre Behandlung von Cannabisabhängigen von Krankenkassen teilweise oder vollständig nicht übernommen werden.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie verteilen sich Cannabisabhängige auf stationäre und ambulante Behandlungen (bitte aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)?

2. Wie viele Tage waren Cannabisabhängige mit einem Alter von unter 20 Jahren durchschnittlich in stationärer Behandlung in schulmedizinischen bzw. suchtmedizinischen Krankenhausabteilungen und Kliniken (bitte aufgeschlüsselt nach den letzten fünf Jahren)?

3. Welche Kriterien gelten für die Krankenkassen für die Finanzierung einer stationären Krankenhausbehandlung von Cannabisabhängigen unter 20 Jahren in Niedersachsen?

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

Cannabis ist international und in Deutschland nach wie vor die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge. Etwa ein knappes Viertel der Bevölkerung hat Erfahrungen mit dem Gebrauch von Cannabis. Dabei handelt es sich überwiegend um Menschen, die Cannabis einmalig probieren oder gelegentlich gebrauchen.

Die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums sind wesentlich höher als noch in den 1990er Jahren angenommen. Neben akuten Effekten wie Einschränkungen der psychischen und physischen Fähigkeiten, sind chronische Beeinträchtigungen an der Lungenatmung, Einflussnahme auf die Immunabwehr und die Reproduktionsfähigkeit wissenschaftlich nachgewiesen. Der starke und dauerhafte Konsum von Cannabis kann bei bestimmten Menschen den Ausbruch von Psychosen begünstigen. Cannabis kann abhängig machen. Außerdem wird ein Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und späterer Affinität zu anderen Drogen gesehen. Insbesondere ist ein erhöhtes Risiko für den Konsum weiterer illegaler Drogen bei frühem Konsum durch Jugendliche gegeben.

Die Wirkungen von Cannabinoiden auf den Organismus sind sehr vielschichtig. Zu den bekannten gut erforschten akuten Effekten des Cannabiskonsums gehören u. a. Euphorie, Wahrnehmungsveränderungen, Störungen des Zeitgefühls, Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit, der Reaktionszeit, der motorischen Fertigkeiten und des Kurzzeitgedächtnisses. Der aktuelle Forschungsstand geht weiterhin von irreversiblen Effekten bei chronischem Langzeitkonsum von Cannabis aus. Hierzu zählen die Entwicklung einer Abhängigkeit und die Begünstigung weiteren Drogenkonsums sowie dauerhafte kognitive Beeinträchtigungen und ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von schizophrenen Psychosen.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt zu diesem Thema folgendes aus: Erfahrungen mit dem Konsum von Cannabis sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland weit verbreitet. Jeder zehnte Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren und jeder dritte junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren hat die illegale psychoaktive Substanz Cannabis zumindest schon einmal probiert. Bei vielen Konsumenten und Konsumentinnen bleibt es aber beim einmaligen, gelegentlichen oder nur episodischen Gebrauch, denn der Anteil derjenigen, die bezogen auf die letzten 12 Monate oder auf die letzten 30 Tage Cannabis konsumieren, ist wesentlich geringer als der Anteil der Personen mit Konsumerfahrung im bisherigen Leben. Dennoch gibt es auch einen nennenswerten Anteil jugendlicher und junger Erwachsener, die in den letzten 12 Monaten regelmäßig Cannabis genommen haben. In dieser Gruppe ist das Risiko für negative gesundheitliche oder psychosoziale Folgen durch den Cannabiskonsum höher als bei Personen, die Cannabis gar nicht, einmal oder einige wenige Male ausprobieren. Der Anteil der Gruppe regelmäßiger Cannabiskonsumenten und -konsumentinnen beträgt in Deutschland derzeit 0,9 % bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren und 3,2 % bei 18- bis 25-jährigen Erwachsenen.

Vor dem Hintergrund früherer Studien sind die aktuellen Zahlen dennoch positiv zu bewerten. Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland ist in den letzten Jahren rückläufig. Nach einem deutlichen Anstieg in den 1990er Jahren nimmt insbesondere die Lebensprävalenz, also der Anteil Jugendlicher und junger Erwachsener, die zumindest einmal im Leben Cannabis konsumiert haben, wieder ab.

Der Missbrauch von Cannabis ist aber weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. Dieses zeigt sich auch daran, dass in Deutschland wie in anderen Ländern die Zahl der Hilfesuchenden zugenommen hat, die wegen eines häufigen Cannabiskonsums Beratungsstellen der Suchthilfe aufsuchen und sich in eine Erstbehandlung begeben.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Die Zahl der stationären Krankenhausbehandlungen von Cannabisabhängigen (International Classification of Deseases ICD F12.2) aufgeschlüsselt nach Altersgruppen in Niedersachsen stellt sich wie folgt dar:


Fälle

Alter

2009

2010

2011

2012

2013

13

1

14

2

1

15

1

1

1

3

16

3

5

7

5

7

17

6

14

10

13

14

18

15

19

14

26

29

19

16

23

43

35

43

20

29

25

26

28

44

21

14

30

38

30

32

22

13

25

32

26

32

23

10

20

22

21

27

24

14

22

17

31

22

25

15

10

17

19

23

26

10

7

17

15

21

27

5

12

9

22

25

28

3

13

12

15

17

29

1

8

7

9

8

30

6

5

10

8

12

31

4

7

10

8

15

32

9

2

10

9

10

33

5

1

2

8

14

34

3

4

4

1

8

35

2

4

3

4

8

36

4

4

7

5

37

4

5

1

5

4

38

1

1

3

3

6

39

4

4

4

2

4

40

1

1

6

4

41

2

1

4

42

5

3

5

3

43

1

1

2

2

2

44

3

2

2

2

45

1

1

6

2

5

46

1

2

1

1

2

47

1

1

3

5

48

2

2

2

1

49

1

2

50

1

1

1

51

1

2

2

2

52

1

2

1

53

1

1

1

1

54

1

1

56

1

57

1

60

1

61

1

63

1

71

1

Summe

216

282

343

381

472

Daten zur ambulanten vertragsärztlichen Behandlung aufgrund von Cannabiskonsum liegen der Landesregierung nicht vor.

Zu 2.:

Die durchschnittliche Verweildauer von Cannabisabhängigen unter einem Lebensalter von 20 Jahren in Krankenhausabteilungen stellt sich für die letzten fünf Jahre wie folgt dar:

Verweildauer (Tage)

Alter

2009

2010

2011

2012

2013

13

0,0

0,0

0,0

0,0

1,0

14

0,0

0,0

0,0

3,0

2,0

15

9,0

0,0

1,0

70,0

8,3

16

10,3

19,8

19,6

15,4

10,4

17

14,7

8,5

13,7

18,2

10,5

18

9,9

11,4

11,5

11,7

19,5

19

11,4

10,4

15,6

10,1

14,3

Zu 3.:

Ein Anspruch auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen für stationäre Behandlung im Krankenhaus entsteht nach § 39 Abs.1 SGB V dann, wenn ein krankhafter Zustand vorliegt und das Behandlungsziel nicht durch ambulante oder teilstationäre Behandlung erreicht werden kann. Die Leistungen müssen dabei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt, dass aus dem Vorliegen einer Cannabisabhängigkeit nicht automatisch die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung ableitbar ist. Die entsprechende Prüfung und Entscheidung obliegt dem behandelnden Arzt anhand des konkreten Einzelfalls. Mögliche Indikatoren für eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit können bei einer Cannabis-bezogenen Problematik u.a. eine somatische Komorbidität oder eine bedeutsame psychiatrische Komorbidität (z.B. affektive Störungen, polyvalente Sucht mit Konsum weiterer Substanzen, akute Intoxikationen) sein. Auch cannabisinduzierte Psychosen dürften in der Regel eine psychiatrische Krankenhausbehandlung erfordern. Sofern die zuständige Kasse nach Einholung eines entsprechenden Votums des Medizinischen Dienstes entgegen der Einschätzung des Krankenhauses die Notwendigkeit einer stationären Behandlung verneint, wird sie die Kostenübernahme verweigern. Darüber hinaus ist bei Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen die Krankheitsbewältigung im Vordergrund steht, vorrangig der Rentenversicherungsträger zuständig.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
22.01.2015

Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger

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