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Neue historische Studie zeigt Diskriminierung von Homosexuellen am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel in der frühen Bundesrepublik auf

Sozialministerin Carola Reimann: „Die Würde von Homosexuellen war bis 1969 antastbar – das darf nie wieder passieren“


Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches prägte Mitte des 20. Jahrhunderts das Leben vieler Homosexueller: Bei freier Ausübung ihrer Sexualität mussten sie mit Verurteilungen und Haft rechnen, ihre gesellschaftliche Stigmatisierung setzte sich auch hinter Gefängnismauern fort. Eine eindrucksvolle Dokumentation dieser Zeit wurde heute in der Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel vorgestellt.

„Die Studie der Wissenschaftlerin Maria Bormuth ruft in Erinnerung, was aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen und auszuhalten ist“, erklärte Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann bei der Präsentation: „Aus dem Gedächtnis vieler ist gerückt, dass die Würde von Homosexuellen bis ins Jahr 1969 antastbar und das Ausüben ihrer Sexualität strafbar waren. Das darf nie wieder passieren.“ Die Landesregierung verfolge das Ziel, die Lebenssituation von homo- und bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen Menschen weiter zu verbessern. „Mit der landesweiten Kampagne zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt schaffen wir einen wichtigen Baustein für ein weltoffenes, vielfältiges und modernes Niedersachsen“, so Dr. Carola Reimann.

Die Studie trägt den Titel „§ 175 StGB - 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der Bundesrepublik am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel“. Das vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung geförderte Forschungsprojekt dokumentiert exemplarisch die leidvolle Zeit homosexueller Männer zwischen 1949 und 1969 in Deutschland.
„Die Ereignisse während der NS-Diktatur lassen sich nicht isoliert von ihren Folgen in der Nachkriegszeit betrachten“, sagte dazu Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. „Deshalb nehmen wir ganz bewusst auch Brüche und Kontinuitäten nach 1945 in den Blick. Dass § 175 StGB in der von den Nazis verschärften Fassung bis 1969 gültig blieb, ist ein erschütternder Beleg für ideologische und juristische Kontinuitäten weit über das Ende der NS-Herrschaft hinaus.“ „Dieses wegweisende Pilotprojekt hat ein bisher vernachlässigtes Thema aufgearbeitet, das auch in der Bildungsarbeit verankert werden muss. Daher bieten wir in Zusammenarbeit mit dem Verein SCHLAU Braunschweig demnächst einen Workshop zum Thema an und bitten dafür Zeitzeugen um ihre Unterstützung“, ergänzte Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte Wolfenbüttel.

Ziel des Forschungsprojektes war es, die Verurteilung und den Strafvollzug von Männern, die nach § 175 Strafgesetzbuch verurteilt wurden, am Beispiel des Strafgefängnisses zu untersuchen und darüber hinaus einen Einblick in die Lebenswelt von Männern, die Sex mit Männern hatten, unter dem Druck der Strafverfolgung zu gewinnen. Hierzu wurden sowohl Gefangenenakten als auch biografische Zeugnisse ausgewertet.

Die Studie kann im Buchhandel und im Webshop der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten bestellt werden: https://bit.ly/2spKDp4

Hintergrund:
§ 175 StGB stellte männliche Homosexualität bzw. homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe und galt in seiner durch die Nationalsozialisten 1935 verschärften Form in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert fort. Es brauchte auch danach noch viele Reformen, bis der Paragraph im Zuge der Wiedervereinigung endlich im März 1994 nach diversen Gesetzesinitiativen endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.

Das Projekt wurde in 2017 und 2018 mit insgesamt 60.000 EUR vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gefördert und jetzt abgeschlossen.

Zukünftig werden in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Workshops zur Strafverfolgung nach § 175 StGB in der Bundesrepublik Deutschland für Jugendliche angeboten werden. Dafür wird derzeit ein pädagogisches Konzept erarbeitet.

Mehr Informationen zur Kampagne „Für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt* in Niedersachsen“ finden Sie hier: https://bit.ly/2D8EqEa

Schmuckgrafik (zum Artikel: Pressemitteilungen) Bildrechte: LGLN

Artikel-Informationen

erstellt am:
17.01.2019

Ansprechpartner/in:
Uwe Hildebrandt

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