Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsen klar Logo

„Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“

Rede der Niedersächsischen Sozialministerin Cornelia Rundt


Sitzung des Bundesrates am 27.03.2015, TOP 2


- Es gilt das gesprochene Wort -


„Bevor wir nun gleich über das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst abstimmen, sollten wir kurz innehalten und uns vor Augen führen, wie sich die aktuelle Situation von Frauen in Führungspositionen tatsächlich darstellt:


In Deutschland haben Frauen rasant aufgeholt, was ihre Erwerbsbeteiligung betrifft: Über 70 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter sind auch erwerbstätig. Nur an der Spitze der Wirtschaft sind Sie locker an einer Hand abzählbar. In 80 Prozent der 200 größten deutschen Unternehmen ist derzeit überhaupt keine Frau im Vorstand. Und in den Aufsichtsräten besetzen Frauen gerade mal 15 Prozent aller Sitze.


Von Gleichberechtigung kann im Angesicht dieser Zahlen keine Rede sein. Die oberen Führungszirkel sind nach wie vor „Männersache“. Und das, obwohl in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen unternommen worden sind, diesen unhaltbaren Zustand zu verändern. Seit Juli 2010 empfiehlt der Corporate Governance Kodex, dass Betriebe eine angemessene Berücksichtigung von Frauen in Führungspositionen und Aufsichtsräten anstreben sollen.


Im Oktober 2011 haben dann auch die 30 DAX-Unternehmen eine freiwillige Selbstverpflichtung vorgestellt, mit der sich die Unternehmen unternehmensspezifische und messbare Ziele zur Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen setzen.

Ich will den guten Willen dieser Vorhaben und auch die Existenz von vorbildhaften Unternehmen an dieser Stelle gar nicht in Frage stellen. Aber geändert haben sie an der bestehenden Ungerechtigkeit bei der Vergabe verantwortungsvoller Führungsaufgaben leider wenig. Zu wenig für die vielen hoch qualifizierten Frauen, die in diesem Land mehr mitbestimmen wollen und sollen!

Das Schneckentempo der Veränderungen beweist vor allem eines: Freiwillige Maßnahmen erzielen nicht die Effekte, die gleichstellungpolitisch geboten sind und sie dauern erheblich zu lange, um den grundgesetzlichen Auftrag der Gleichberechtigung in diesem Teil unserer Arbeitswelt zu erfüllen.

Das Grundgesetz gilt seit 1949. Seit über 65 Jahren warten Frauen darauf, dass das Versprechen unserer Verfassung auf Gleichheit bei der Vergabe der wirklich verantwortungsvollen Jobs auch in die Tat umgesetzt wird. Diese Bundesregierung hat mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nun einen entscheidenden Schritt getan, um diesem Auftrag endlich mehr Leben einzuhauchen. Sie setzt nicht mehr auf Einsicht bei den Unternehmen, sondern fordert in moderatem Maß über gesetzliche Regelungen die Verwirklichung dieses Auftrags bei den Unternehmen ein.

Ich sage aber auch sehr deutlich: Aus meiner Sicht stellen die jetzt gefundenen Regelungen noch nicht das gleichstellungspolitische Optimum dar. Frankreich, Norwegen, Belgien, Italien: Sie alle sind über unsere 30 Prozent hinausgegangen – und auch die EU möchte in ihrer Richtlinie 40 Prozent für alle diejenigen Länder festschreiben, die das Problem bisher ignoriert haben. Und natürlich kann jede Quote erst der Anfang sein: Veränderungsprozesse müssen auf allen Ebenen der Arbeitswelt stattfinden.

Erwerbstätige Frauen werden in vielfältiger Weise diskriminiert und gerade erst mussten wir wieder zur Kenntnis nehmen, dass Frauen in Deutschland für die gleiche Leistung im Durchschnitt 22 Prozent weniger Stundenlohn bekommen. Damit müssten Frauen 79 Tage länger arbeiten, um auf den gleichen Verdienst wie Männer zu kommen.

Selbst in Top-Positionen gilt es als völlig normal, wenn eine weibliche Führungskraft schlechter vergütet wird als ihre männlichen Kollegen. Wir brauchen da dringend mehr Transparenz – es kann doch nicht sein, dass Unternehmen einseitig auf Kosten der Frauen ihre Gewinne maximieren.

Wenn die Wirtschaft gleichzeitig behauptet, zur Bekämpfung des Fachkräftemangels Frauen zu brauchen, dann möge sie ihnen auch gute Arbeitsbedingungen anbieten. Un- und unterbezahlte Arbeit leisten Frauen schon genug.

Wir brauchen vor allem mehr sozialversicherungspflichtige Jobs für Frauen, eine familienbewusste Personalpolitik und faire Aufstiegschancen.

Was bedeuten die neuen Regelungen im Einzelnen?

Für Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert sind und der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, gilt ab dem 01. Januar 2016 eine Geschlechterquote von 30 Prozent. Die Quotenregelung greift damit bei Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie bei Europäischen Aktiengesellschaften (SE), bei denen sich das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan aus derselben Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zusammensetzt.

Die betroffenen Unternehmen müssen die Quote ab 2016 sukzessive für die dann neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten beachten. Die Mindestquote gilt grundsätzlich für den gesamten Aufsichtsrat als Organ. Dieser Gesamterfüllung kann jedoch von der Anteilseigner- oder der Arbeitnehmerseite vor jeder Wahl widersprochen werden, so dass jede Bank die Mindestquote für diese Wahl gesondert zu erfüllen hat. Bei Nichterfüllung ist die quotenwidrige Wahl nichtig. Die für das unterrepräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze bleiben unbesetzt (der sogenannte „leere Stuhl“).

Unternehmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmt sind, werden verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Management-Ebenen festzulegen. Über die Zielgrößen und deren Erreichung müssen sie dann öffentlich berichten.

Der Bund wird mit gutem Beispiel vorangehen: Das Bundesgremienbesetzungsgesetz wird mit dem Ziel der paritätischen Vertretung von Frauen und Männern in Gremien novelliert, deren Mitglieder der Bund bestimmen kann.

Auch die Bundesverwaltung wird künftig insbesondere verpflichtet, sich für jede Führungsebene konkrete Zielvorgaben zur Erhöhung des Frauen- beziehungsweise Männeranteils zu setzen. Zielvorgaben und Maßnahmen sind im Gleichstellungsplan der jeweiligen Dienststelle darzustellen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal hervorheben, was auch in der Debatte der letzten Wochen eine Rolle spielte: Gleichstellung bedeutet nicht, alles für Männer und Frauen gleich zu machen. Es bedeutet vielmehr, das zu veranlassen, was notwendig ist, um eine strukturelle Benachteiligung zu beheben.

Andererseits befremdet es mich immer noch, wenn Menschen allen Ernstes behaupten, die Quote stehe im Widerspruch zur Qualifizierung.

Wenn wir keine bewusste oder unbewusste Ausgrenzung von Frauen in Spitzenpositionen hätten, sondern allein Qualität, also Wissen, Erfahrung und Fähigkeiten zum Zuge kämen, dann hätten wir bereits eine ausgeglichene Besetzung mit Männern und Frauen auf allen Ebenen.

Ich bin mir sicher, dieser Gesetzesentwurf wird die Gleichberechtigung ein gutes Stück voranbringen. Auch wenn es noch beträchtliche Widerstände gibt, wird am Ende deutlich werden, dass mehr Frauen in Führung nicht nur ein Gebot der Gleichberechtigung ist, sondern auch ein Gewinn für Unternehmen. Unternehmenskulturen werden sich verändern. Das ist mit Blick auf gute Arbeit auch für Frauen unverzichtbar. Frauen in Führungspositionen sind elementarer Bestandteil einer erfolgreichen Volkswirtschaft. Gemischte Führungsteams machen Unternehmen erfolgreicher!

Das Land Niedersachsen unterstützt diesen Gesetzesentwurf ausdrücklich.

Ich persönlich hätte mir eine Quote auf Höhe der beabsichtigten 40 Prozent wie in der beabsichtigten EU-Gesetzgebung gewünscht. Auch kann man sicher über die festgesetzten Betriebsgrößen diskutieren.

Insgesamt überwiegt aber bei mir die Freude und Erleichterung über einen parteiübergreifend gefundenen Kompromiss, der vor allem auch einem breiten Bündnis von Frauen aller Couleur zu verdanken ist. Sehen wir dieses Gesetz daher als ersten mutigen Schritt an. Ich bin ganz sicher, dass nach diesem ersten Schritt das Laufen in die richtige Richtung sehr viel einfacher wird.

Vielen Dank!“





Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
27.03.2015

Ansprechpartner/in:
Frau Heinke Traeger

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln