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Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage: „Welchen besonderen Herausforderungen bei der Behandlung kranker Straftäter müssen sich die niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen künftig stellen?“

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Volker Meyer, Dr. Max Matthiesen, Petra Joumaah, Burkhard Jasper, Gudrun Pieper, Annette Schwarz (CDU) geantwortet.


Die Abgeordneten Volker Meyer, Dr. Max Matthiesen, Petra Joumaah, Burkhard Jasper, Gudrun Pieper, Annette Schwarz (CDU) hatten gefragt:

Die niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen haben die schwierige Aufgabe, mit kranken Straftätern unterschiedlichster Herkunft und Sozialisation umzugehen. So gibt es bei der Therapie kranker Straftäter ausländischer Herkunft oft kulturelle Hürden, die die Behandlung erschweren. Aus Brandenburg gab es aus diesen Gründen im vergangenen Jahr bereits den Vorstoß, eine länderübergreifende Spezialeinrichtung mit speziell geschulten Fachkräften zur Behandlung von psychisch kranken Straftätern mit Migrationshintergrund einzurichten.

Zu manchen Kulturkreisen bekomme man nur schwer Zugang, heißt es aus Brandenburg. Zum Beispiel gebe es Täter, die sich weigerten, mit Frauen zu sprechen, der überwiegende Teil des therapeutischen Personals sei allerdings weiblich. Größtes Problem sei jedoch die Sprache. Man versuche daher, sich über Dolmetscher zu behelfen, was bei einer Therapie aber schwierig sei. Um analysieren zu können, wie jemand auf eine Frage reagiere, dürfe es keinen Zeitverzug durch Übersetzung geben. So könne man den Menschen, die teils schwer traumatisiert seien, nicht gerecht werden, heißt es aus Brandenburg. Ein zentrale Spezialeinrichtung in Deutschland, in der ausländische Täter aus dem gesamten Bundesgebiet von dafür extra ausgebildeten Ärzten und Therapeuten begleitet werden, könne daher die Chancen auf einen Therapieerfolg und die gewünschte Resozialisierung erhöhen.

Da der Maßregelvollzug Ländersache ist, müssten sich die Länder untereinander auf eine solche gemeinsame Einrichtung verständigen.

  1. Wie hoch ist der Anteil an Straftätern ausländischer Herkunft in den niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen - differenziert nach den Unterbringungen gemäß § 63 und § 64 StGB?

  2. Welche Unterschiede gibt es bei der therapeutischen Behandlung von kranken Straftätern mit Migrationshintergrund in Abhängigkeit von ihrer kulturellen Identität und ihrer Kenntnis der deutschen Sprache?

  3. Wie gehen die niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen mit kranken Straftätern um, die einen salafistischen bzw. islamistischen Hintergrund haben?

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

Bereits im Sommer letzten Jahres forderte der Chefarzt einer Maßregelvollzugsklinik in Brandenburg in der Märkischen Zeitung, eine spezielle Klinik zur Behandlung von psychisch kranken Straftäterinnen und Straftätern mit Migrationshintergrund einzurichten. Dabei sollte 2015 insbesondere auf der konkreten Situation in Brandenburg begegnet werden, die von einem hohen Anteil deutschrussischer Patientinnen und Patienten, aber auch solchen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken wie z.B. Tschetschenien geprägt war.

Das für den Maßregelvollzug zuständige Gesundheitsministerium in Potsdam lehnte den Vorschlag zwar nicht sofort ab, hob jedoch gleichwohl hervor, Brandenburger Gerichtspsychiatrien leisteten gute Arbeit, auch bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund. Das Land Brandenburg hat bezüglich der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund im Maßregelvollzug dann auch bislang keine solche Maßnahmen eingeleitet oder umgesetzt.

Im niedersächsischen Maßregelvollzug befinden sich zurzeit 165 Patientinnen und Patienten mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Behandlung.

Überwiegend weisen diese Menschen Abhängigkeiten von Suchtstoffen auf und kommen gemäß § 64 StGB in Behandlung. Manchmal handelt es sich auch um Patientinnen und Patienten, die bereits in ihren Herkunftsländern unter „klassisch-psychiatrischen Erkrankungen“ wie zum Beispiel einer Schizophrenie gelitten haben. Sie sind dann im Kontext dieser Erkrankung straffällig geworden und gemäß § 63 StGB untergebracht.

Es handelt sich dabei um Menschen aus sehr unterschiedlichen Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen, so zum Beispiel ausländische wie deutsche Patientinnen und Patienten aus den ehemaligen Sowjet-Republiken, aber auch um Patientinnen und Patienten aus dem arabisch-muslimischen Kulturkreis.

Migrantinnen und Migranten können im Maßregelvollzug eine besondere Herausforderung darstellen. Verständigungsschwierigkeiten, soziokulturelle Unterschiede und zum Teil wenig Hintergrundinformationen können die Behandlung von Ausländerinnen und Ausländern sowie von Migrantinnen und Migranten erschweren.

Es ist aber definitiv nicht zielführend, alle Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund in einer zentralen Einrichtung zusammenzufassen.

Soweit die Patientinnen und Patienten aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, ist oft das Einzige, was sie verbindet, dass sie in Deutschland leben. Unser Ziel muss es sein, sie zu befähigen, sich in Deutschland und im deutschen Kulturkreis soweit zurecht zu finden, dass sie nicht mit unseren Gesetzen in Konflikt geraten.

Eine Konzentrierung der Betroffenen in einer Anstalt fördert gerade nicht die Integration in den deutschen Kulturkreis, sondern bedeutet eine Trennung, die in jedem Fall ein Integrationshindernis darstellt.

Es ist deshalb gut, dass wir in Niedersachsen über einen Maßregelvollzug verfügen, der auf 10 Klinikstandorte verteilt ist. Wir haben auf diesem Weg die Möglichkeit, einerseits differenzierte Behandlungskonzepte störungsspezifisch anzubieten und Patientinnen und Patienten nahe ihrem zukünftigen Lebensbereich zu resozialisieren. Wir haben aber auch die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten bei Bedarf voneinander getrennt zu behandeln.

Als Beispiel für Besonderheiten, die Patientinnen und Patienten aus ihren Herkunftsländern mitbringen, können genannt werden: Unterschiede hinsichtlich des Frauenbildes sowie ein anderes Verständnis von Sucht, Ehre und Höflichkeit. Diese Besonderheiten sind aber nicht beschränkt auf Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund, sondern finden sich im Maßregelvollzug so oder ähnlich auch bei deutschen Patientinnen und Patienten. Insgesamt geht es darum, die psychischen Erkrankungen, aus denen allein sich die Unterbringung im Maßregelvollzug begründen lässt, fachgerecht zu behandeln.

Sicher zählen zu diesen Erkrankungen unter Umständen auch Traumatisierungen, die entweder auf Kriegserlebnissen aus den Herkunftsländern oder auf Erlebnisse im Rahmen ihrer Flucht zurückgeführt werden können.

Psychisch kranke Menschen, insbesondere diejenigen, die längerfristig in psychiatrischen Kliniken untergebracht sind, können empfänglich für vermeintliche „Heilsbotschaften“ und vulnerabel für jede Art von Radikalisierung sein. Soweit diese Menschen in forensisch-psychiatrischen Kliniken leben, stehen sie natürlich unter besonderer Betreuung, und Personen, die „missionieren“ wollen, können nicht ohne weiteres zu ihnen gelangen.

Darüber hinaus werden die Aktivitäten der Patientinnen und Patienten im Maßregelvollzug in der virtuellen Welt aktiv beobachtet und überwacht. Internetfähige stationäre und mobile Geräte (z. B. PC, Spielekonsole, MP3 Player, Handy) und Datenträger werden regelmäßig auf ihre Inhalte und den Inhalt der besuchten Seiten im Internet überprüft. Zuständig für diese Überprüfung ist unter der Leitung des IT-Sicherheitsbeauftragten eine insgesamt 4-köpfige Gruppe von Mitarbeitern, die sich speziell fort- und weitergebildet hat. Die Überprüfung findet im Maßregelvollzugszentrum statt - auch für die Maßregelvollzugseinrichtungen bei den beliehenen Trägern.

Auffällige Befunde werden an die Polizei weitergeleitet. Durch die enge Abstimmung mit der Polizei wird auch die strafrechtliche Verwertbarkeit der Ermittlungsergebnisse gewährleistet. Über den weiteren ermittlungsrechtlichen Ansatz entscheidet dann in jedem Einzelfall die Polizei mit ihrer Fachkompetenz in strafrechtlichen und ggf. auch verfassungsschutzrechtlichen Ermittlungen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass unsere niedersächsischen Maßregelvollzugskliniken gute Arbeit leisten, auch bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund. Die Maßregelvollzugskliniken sind sich der Probleme, die aus der Salafisten- bzw. Islamistenszene, aber auch aus anderen Radikalisierungen erwachsen können, durchaus bewusst. Wir werden deshalb in den fachlichen Austausch mit den Justizvollzugsanstalten auch weiterhin solche Fragestellungen einbeziehen. Ein gemeinsames Treffen von Vollzugleitungen aus Strafvollzugsanstalten und Maßregelvollzugsanstalten hat im November in Celle stattgefunden, zunächst zum Thema Lockerungspraxis. Weitere Treffen sind vereinbart. Gemeinsame Qualitätszirkel auf regionaler Ebene sind in Vorbereitung.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen:

Zu 1.:

Eine aktuelle Erhebung in den 10 niedersächsischen Maßregelvollzugskliniken erbrachte, dass sich zur Zeit insgesamt 165 Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten mit ausländischer Herkunft (Stand: 31.10.2016) in niedersächsischen Maßregelvollzugskliniken in Behandlung befinden.

Einrichtung

§ 63 StGB

§ 64 StGB

MRVZN Bad Rehburg

-

8

%-Anteil an ausländischer Herkunft

-

9,64%

KRH Wunstorf

20

-

%-Anteil an ausländischer Herkunft

18,52%

-

AMEOS Osnabrück

7

-

%-Anteil an ausländischer Herkunft

8,43%

-

Asklepios Göttingen

7

-

%-Anteil an ausländischer Herkunft

11,86%

-

AMEOS Hildesheim

2

5

%-Anteil an ausländischer Herkunft

3,08%

7,69%

Karl-Jaspers-Klinik Wehnen

13

-

%-Anteil an ausländischer Herkunft

10,92%

-

PK Lüneburg

3

4

%-Anteil an ausländischer Herkunft

2,50%

3,33%

AWO Königslutter

6

2

%-Anteil an ausländischer Herkunft

6,45%

2,15%

MRVZN Moringen incl. Festes Haus Göttingen

22

18

%-Anteil an ausländischer Herkunft

5,50%

4,50%

MRVZN Brauel

-

21

%-Anteil an ausländischer Herkunft

-

16,28%

Summe Patienten ausl. Herkunft

80

58

%-Anteil an ausländischer Herkunft insgesamt

10,60%

11,31%

Zu 2.:

Soweit es sich um Erkrankungen handelt, die medikamentös zu beeinflussen sind, stellt die Therapie dieser Patientinnen und Patienten keine besondere Herausforderung dar. Anders sieht es mit der „klassischen“ Psychotherapie aus.

Die forensisch-psychiatrischen Kliniken in Niedersachsen berichten, dass die meisten Patientinnen und Patienten so gut deutsch sprechen, dass sie von Anfang an in den therapeutischen Prozess einbezogen werden können. In seltenen Fällen müssen sie erst die deutsche Sprache erlernen, bevor sie eine therapeutische Behandlung beginnen können. Hierzu werden in den Kliniken Deutsch-Kurse angeboten.

Das Maßregelvollzugszentrum Moringen hat darüber hinaus zwei Pädagoginnen ausbilden lassen, die hier Sprachkenntnisse und kulturelle Werte unseres Landes vermitteln können.

Daneben stehen auch nicht-verbale Therapie-Verfahren zur Verfügung wie zum Beispiel kreative Techniken aus dem Bereich der Ergo-Therapie oder aber auch aus dem Bereich der Körper-Therapie, Sport beziehungsweise Entspannungs-Übungen.

Regelhaft wird außerdem auf kulturelle und religiöse Besonderheiten im Kontext der Behandlung individuell eingegangen. In den Fällen, in denen die deutsche Sprache mangelhaft beherrscht wird, greifen die Kliniken auf Dolmetscherinnen und Dolmetscher (u.a. den Dolmetscherdienst des ethnomedizinischen Zentrums Hannover) zurück. Hierbei konnten sie gute Erfahrungen sammeln.

Zu 3.:

Derzeit ist nur ein Patient in der Anstalt Moringen bekannt. Dieser Patient ist nach § 126a StPO untergebracht, also noch im Status eines Untersuchungshäftlings. Unter den patientinnen und Patienten nach § 126a StPO gibt es 27 mit ausländischer Herkunft. In den anderen Kliniken sind derzeit keine Patientinnen und Patienten untergebracht, bei deren Straftaten ein salafistischer bzw. islamistischer Hintergrund festgestellt wurde. Die Kliniken sind aufgerufen, das Fachministerium unverzüglich zu informieren, sollten hier Patientinnen und Patienten eingewiesen werden, die einen salafistischen oder islamistischen Hintergrund haben.

Gemeinsam mit dem MJ wird derzeit geprüft, ob und inwieweit bereits erarbeitete Sicherheitskonzepte aus dem Strafvollzug auf den Maßregelvollzug übertragen werden können.

Das MS und das MJ führen einen engen Erfahrungsaustausch zwischen Maßregelvollzug und Strafvollzug durch. Im November 2016 hat ein gemeinsames erstes Treffen zwischen MJ und MS und zwischen Vollzugleitungen aus den Justizvollzugsanstalten und Maßregelvollzugseinrichtungen stattgefunden. Dieser fachliche Austausch wird in 2017 fortgesetzt und durch neue regionale Qualitätszirkel begleitet. Das schließt die Diskussion über Sicherheitsfragen einschließlich des Themas „Radikalisierung“ ein.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
15.12.2016

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