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Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Rechtswidrige“ (Zitat LRH) Auszahlungen und Streit um Mittelverwendung bei den Paritäten

Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung


Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hat namens der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Christian Grascha, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Christian Dürr, Dr. Stefan Birkner, Jörg Bode und Gabriela König (FDP) geantwortet.

Die Abgeordneten Sylvia Bruns, Christian Grascha, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Christian Dürr, Dr. Stefan Birkner, Jörg Bode und Gabriela König (FDP) hatten gefragt:

Bereits Anfang Mai hatte der Landesrechnungshof kritisiert, dass die Wohlfahrtsverbände mit den Finanzhilfen in einem erheblichen Umfang weiterhin ihre eigenen Verbandsaufgaben finanzierten, „ein Verband“ sogar anteilig seine Vorsitzenden. Wie zwischenzeitlich bekannt wurde, handelte es sich hierbei um den Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Der Verband hat einen Teil der Gehälter für seine beiden Vorstandsmitglieder aus Finanzhilfen des Landes bezahlt. Hierin sieht Landesrechnungshofpräsident Reinhold Höptner einen „Verstoß gegen die Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsvorgaben der Landeshaushaltsverordnung“.

Die Vorstandsgehälter des Paritätischen in Niedersachsen betragen 113 000 Euro für den Vorstandsvorsitz und 103 000 Euro jährlich für den Stellvertreter.

Auch in anderen Bereichen wird die Verwendung der Mittel bei den Paritäten als zumindest undurchsichtig angesehen. Aus diesem Grund hat der Bund der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen die Fraktionen des Niedersächsischen Landtages aufgefordert, die Finanzhilfen von über 20 Millionen Euro jährlich, die aus Glücksspielabgaben an die großen Wohlfahrtsverbände im Land fließen, zügig auf eine verfassungs- und haushaltsrechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen.

In ihrer Antwort auf die Anfrage „Gibt es für die Förderung der freien Wohlfahrtspflege seit Januar 2015 eine gesetzliche Grundlage?“ hat die Landesregierung mitgeteilt: „Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hat die in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW) zusammengeschlossenen Verbände mit Schreiben vom 22. Juni 2015 zu einem Gespräch über den Abschluss einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 2 NWohlfFöG am 21. Juli 2015 eingeladen.“ (vgl. Drs. 17/3930 Seite 75).

In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission, nach Informationen von NDR 1 Niedersachsen, ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

1. Wie schätzt die Landesregierung die „Gefahr“ ein, dass am Ende des Vertragsverletzungsverfahrens ein Verbot der Finanzhilfen stehen könnte?

2. Sind der Landesregierung noch andere Verbände bekannt, die Vorstandsgehälter aus Landesmitteln finanzieren, und, wenn ja, welche?

3. Hat das Gespräch am 21. Juli stattgefunden und lässt sich nunmehr einschätzen, wann mit einem Vertragsabschluss zu rechnen ist?


Ministerin Cornelia Rundt beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Grundstruktur der Förderung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt und die Akteure in die Lage versetzt, auf aktuelle Entwicklungen im wohlfahrtspflegerischen Bereich flexibel zu reagieren. Wie wichtig dies ist, erleben wir gerade tagtäglich bei der Bewältigung der Herausforderungen, die durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen auf uns alle zukommen. Es sind gerade die Träger der Freien Wohlfahrtspflege mit ihren gut organisierten und flexiblen haupt- und ehrenamtlichen Strukturen, die vor Ort den ankommenden Menschen unbürokratisch helfen. Sie leisten Sozialarbeit, unterstützen bei der Wohnraumsuche, versorgen Flüchtlinge über Kleiderkammern mit dringend benötigter Ausstattung oder bieten Sprachkurse an und organisieren den Suchdienst um Familienangehörige zusammenzuführen, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor allem aber stehen unzählige ehrenamtlich Engagierte als Ansprechpartner und Begleiter für die häufig traumatisierten Menschen zur Verfügung. Ich bin der festen Überzeugung, dass die aktuellen und im gegebenen Umfang nicht vorhersehbaren und damit planbaren Herausforderungen ohne den vorbildlichen, engagierten Einsatz der haupt- und ehrenamtlich tätigen Personen der Freien Wohlfahrtspflege nicht zu bewältigen wären. Die Mittel der Finanzhilfe werden auch und gerade für den Aufbau und den Erhalt der hierfür erforderlichen Strukturen eingesetzt und sind damit gut investiert.

Die Freie Wohlfahrtspflege und ihre Spitzenverbände haben eine lange Tradition in unserem Land, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Gegründet in einer Zeit, die geprägt war von Krieg und den sozialen Folgen der Industrialisierung entwickelten sie sich aus unzähligen Organisationen der Armenhilfe und der organisierten Nächstenliebe. Der Grundgedanke, hilfsbedürftige Menschen zu unterstützen und sich für die schwachen und benachteiligten Mitglieder der der Gesellschaft einzusetzen, ist für die Freie Wohlfahrtspflege bis zum heutigen Tag handlungsleitend.

Heute betreiben die in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW) zusammengeschlossenen Verbände in Niedersachsen zusammen rund 6.000 gemeinwohlorientierte Einrichtungen, Dienste und Beratungsstellen mit über 200.000 hauptberuflich Beschäftigten. Zusätzlich engagieren sich über 500.000 Menschen ehrenamtlich. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege haben damit nicht nur als Arbeitgeber eine wirtschaftliche Bedeutung, sie stehen auch für das sozial- und gesellschaftspolitische Engagement zahlreicher Menschen und sind damit eine tragende Säule der sozialen Infrastruktur in unserem Land. Sie tragen maßgeblich zum sozialen Frieden bei.

Im Rahmen des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips haben wir im Verhältnis zwischen Staat und Freier Wohlfahrtspflege auch immer das Subsidiaritätsprinzip im Auge zu behalten. Das heißt, der Staat soll sich zurückhalten, wenn die Aufgabe durch eine nichtstaatliche Organisation wahrgenommen werden kann. Damit das Subsidiaritätsprinzip im sozialen und wohlfahrtspflegerischen Bereich mit Leben gefüllt werden kann, bedarf es einer leistungsfähigen Freien Wohlfahrtspflege. Um diese Leistungsfähigkeit dauerhaft zu sichern und finanziell auf eine valide Grundlage zu stellen, hat der niedersächsische Landtag bereits 1956 – auf dieses Datum werde ich später noch einmal zurückkommen - mit dem Gesetz über das Zahlenlotto die Finanzhilfen als Rechtsanspruch ausgestaltet. Hieran hat sich aus guten Gründen in den letzten Jahrzehnten nichts geändert. Und ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass wir uns letztes Jahr im Dezember bei der Verabschiedung des Wohlfahrtsgesetzes mit einer breiten Mehrheit im Landtag darin einig waren, diese bewährte Systematik beizubehalten.

Seit Einführung der Finanzhilfen vor fast 60 Jahren sind die aus der Konzessionsabgabe bereitgestellten Mittel zur Erfüllung wohlfahrtspflegerischer Aufgaben zu verwenden. Dies ist gesetzlich festgelegt. Weitere Einzelheiten wie z.B. die nähere Bestimmung der wohlfahrtspflegerischen Aufgaben, die Festlegung von Mindestanteilen für einzelne Aufgabenbereiche oder von Höchstanteilen für die Verwendung für Verwaltungsaufgaben sind in einer Vereinbarung zwischen dem Sozialministerium und der LAG FW zu regeln. Auch dieses Verfahren hat sich in den letzten Jahrzehnten – unabhängig von der politischen Ausrichtung der jeweiligen Landesregierung - bewährt. Die aktuell geltende Vereinbarung vom 28.05.2008, unterschrieben von der damaligen Sozialministerin Frau Ross-Luttmann, in der diese Aspekte geregelt sind, haben alle Vereinbarungspartner unterzeichnet.

Bei der Diskussion darüber, wie die Mittel der Finanzhilfe von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege zu verwenden sind, sind die unterschiedlichen Zweckbestimmungen klar voneinander zu trennen. So regelt § 5 der Vereinbarung, dass ein Teil der Finanzhilfe auch für die Bestreitung von Verwaltungsaufgaben eingesetzt werden kann. Hierfür dürfen seit 2006 maximal 5 % der Finanzhilfemittel verwendet werden. Diese Höchstgrenzen haben alle Verbände eingehalten. Bis 2004 lag dieser Höchstsatz noch bei 10 % und im Jahr 2005 bei 7,5 %. Die Absenkung erfolgte auf Anregung des Landesrechnungshofs.

Völlig unabhängig von den Mitteln, die für die Bestreitung von Verwaltungsaufgaben eingesetzt werden können, ist der zweckentsprechende Mitteleinsatz für die Beratungstätigkeit der Verbände zu sehen. Die Beratungstätigkeit ist eine fachliche Aufgabe, die die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen wahrnehmen. Denn ein wesentliches Merkmal in der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege ist die große Anzahl von ehrenamtlich engagierten Personen in den vielfältigen sozialen Aufgabenbereichen. Um dieses gesamtgesellschaftlich unverzichtbare und gewünschte Engagement zu unterstützen, zu fördern und weiter zu entwickeln, bedarf es einer hauptamtlichen Begleitung und Beratung durch Personen mit einem entsprechenden beruflichen Hintergrund und einer entsprechenden fachlichen Kompetenz für das jeweilige Beratungsthema. Das Augenmerk liegt dabei auf der inhaltlichen, fachlichen Beratung; auf die Stellung und Funktion der beratenden Person innerhalb der Verbandshierarchie kommt es dabei nicht an. Das von Ihnen in den Vorbemerkungen zu dieser mündlichen Anfrage in diesem Zusammenhang kritisierte Verfahren entspricht damit der geltenden Rechtslage. Eine rechtswidrige Verwendung liegt nicht vor. Dies hat auch der Präsident des Landesrechnungshofs, Herr Höptner, im Rahmen der Unterrichtung des Haushaltsausschusses am 09.09.2015 ausdrücklich bestätigt. Diesem Ergebnis hat sich inzwischen auch Herr Hilbers in seiner Presseinformation vom 09.09.2015 angeschlossen, auf die ich in diesem Zusammenhang gerne hinweise.

Nach Auffassung der Landesregierung ist die Beratung durch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unverzichtbar. Sie bietet den zahlreichen, oft ehrenamtlich geführten Angeboten vor Ort, wie z.B. Selbsthilfegruppen, Elterninitiativen aber auch Leistungen der Alten- und Behindertenhilfe oder Tafeln, die notwendigen Rahmenbedingungen und Informationen. Nur auf dieser Grundlage ist die erfolgreiche, effiziente, gemeinnützige Arbeit im Dienste der Allgemeinheit möglich. Die Beratung der Mitgliedsorganisationen ist ein unverzichtbarer Baustein, damit das mit der Finanzhilfe verfolgte Ziel erreicht wird und die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird – bei den einzelnen Menschen. Gleichzeitig schützt die Beratung sozial Engagierte vor Fehlentscheidungen, die zur persönlichen Haftung z.B. bei Organisationsverschulden bzgl. Zuwendungsrecht, Steuerrecht, arbeitsrechtlichen Maßnahmen etc. führt.

Auf einen weiteren Aspekt möchte ich gleich von vornherein eingehen:

Zur Klarstellung weise ich darauf hin, dass von der EU-Kommission entgegen der Darstellung der Fragesteller kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurde. Vielmehr handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren zum Thema Beihilferecht. Nach Auffassung der Landesregierung sprechen wir bei den an die Freie Wohlfahrtspflege gewährten Finanzhilfen jedoch nicht von einer staatlichen Beihilfe im Sinne des § 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Wir haben dies gegenüber der EU-Kommission entsprechend dargestellt und begründet.

Für den Fall, dass die EU-Kommission die Finanzhilfe wider Erwarten als staatliche Beihilfe qualifizieren sollte, wäre diese aber auch mit dem Binnenmarkt vereinbar. Die Finanzhilfe wurde – und hier komme ich auf meinen Hinweis am Anfang zurück – bereits im Jahre 1956 - und damit vor Abschluss des EWG-Vertrages im Jahr 1957 – gesetzlich normiert. Damit würde es sich um eine bestehende Beihilfe handeln, die nicht notifizierungspflichtig ist. Darüber hinaus wären die Finanzhilfen aber auch als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, den sogenannten DAWI, zu klassifizieren. Diese sind mit dem Binnenmarkt vereinbar und müssen nicht angemeldet werden. Die Landesregierung hat daher keine Zweifel an der Vereinbarkeit der Finanzhilfe mit dem EU-Beihilferecht.

Zu 1:

Zunächst verweise ich auf meine Ausführungen in der Vorbemerkung. Die Landesregierung hält es für sehr unwahrscheinlich, dass im Zuge des Beschwerdeverfahrens seitens der EU ein Verbot der Finanzhilfen ausgesprochen wird.

Zu 2:

Der Landesrechnungshof hat in seiner Prüfungsmitteilung festgestellt, dass ein Spitzenverband die Gehälter seiner hauptamtlichen Vorstandsmitglieder zum Teil aus Mitteln der Finanzhilfe finanziert. Der Landesregierung liegen darüber hinaus keine anderslautenden Erkenntnisse vor.

Zu 3:

Das Gespräch wurde auf den 22. Juli 2015 verschoben und hat stattgefunden. In diesem Gespräch wurde abgestimmt, dass die Verhandlungen nach der Sommerpause fortgesetzt werden. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 29. September 2015 terminiert. Angestrebt wird ein Vertragsabschluss bis Ende 2015.

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